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Herbst 2005

Rei­se­be­richt als PDF

Good Times in Delhi
Mit­ten in der Nacht lan­den wir in Delhi, wo uns ein Fah­rer zum Hotel Good Times brin­gen soll. Nach­dem wir pro­blem­los die Immi­gra­ti­ons­schal­ter pas­siert haben, erwar­tet uns (die­se Sze­ne ken­nen wir bereits aus unzäh­li­gen Fil­me) ein Mann mit einem hoch­ge­ho­be­nen Kar­ton­schild, auf dem unse­re Namen ste­hen. Die­ser Beglei­ter und sein Fah­rer haben sicher schon stun­den­lang auf uns gewar­tet, da wir mit gros­ser Ver­spä­tung gelan­det sind. Die­sem Beglei­ter fal­len bei der Fahrt durch dunk­le Stras­sen dann auch immer wie­der die Augen zu — aber halt, es ist ja gar nicht der Bei­fah­rer, son­dern der Dri­ver, der da mit geschlos­se­nen Augen fährt! In Indi­en gilt ja Links­ver­kehr, also ist das Steu­er­rad rechts. Dies ist wahr­schein­lich ein klei­ner Vor­ge­schmack auf Indi­en, in dem alles anders sein soll, sogar blin­des Fah­ren durch dich­ten Ver­kehr ist mög­lich! Die Stras­sen sind um die­se Zeit wirk­lich erstaun­lich belebt. Vie­le Last­wa­gen sind unter­wegs wegen des Tag­fahr­ver­bots für Lor­ries in Delhi. Horn Plea­se, Good’s Car­ri­er (sogar God’s Car­ri­er fährt auf Indi­ens Stras­sen), ein­mal sehe ich einen Ele­fan­ten — alles wie im Traum.

Im Hotel stei­gen wir in der Lob­by über schla­fen­de Ange­stell­te. Das Zim­mer hat schwe­re Vor­hän­ge, einen lär­men­den Ven­ti­la­tor und zum Glück ein beque­mes Bett. Am nächs­ten Mor­gen höre ich schau­er­li­che Geräu­sche aus dem Bade­zim­mer neben­an, Röcheln, Räus­pern, Äch­zen, Wür­gen und Spu­cken. Aha, ein armer West­ler, der wahr­schein­lich das indi­sche Essen nicht ver­trägt. Noch weiss ich nicht, dass es zur indi­schen Mor­gen­toi­let­te gehört, mög­lichst allen unrei­nen Schleim los­zu­wer­den, der sich in der Nacht ange­sam­melt hat. Ein typi­sches Mor­genge­räusch in Indi­en! Dann das ers­te Essen zusam­men mit einer indi­schen Gross­fa­mi­lie, die offen­bar das hal­be Hotel gemie­tet hat. Die ers­ten fei­nen Rotis und Gemü­se aus gros­sen Chromstahlgefässen.

Nun geht es ans Pla­nen unse­rer Wei­ter­rei­se: Als Ers­tes brau­chen wir einen Stadt- und einen Fahr­plan! Sobald wir mit die­ser Mis­si­on aus dem Hotel tre­ten, erspäht uns auch schon ein Auto­rik­s­ha-Fah­rer, der genau weiss, wo sich das Tou­rist-Office befin­det und uns flugs dort­hin fährt. Von Mr. Mohan zuvor­kom­mend emp­fan­gen, ver­las­sen wir das Rei­se­bü­ro nach kur­zer Zeit nicht nur mit einem kos­ten­lo­sen Stadt­plan, son­dern auch mit einem nicht ganz kos­ten­lo­sen Pau­schal- Arran­ge­ment: 10 Tage Rajasthan inkl. 2 Tage Sight­see­ing in Delhi mit einem Fah­rer, plus Kamel­sa­fa­ri in der Wüs­te und schliess­lich einem Zugs­bil­let nach Tri­v­an­drum! Alles gebucht und im Vor­aus bezahlt — ziem­lich naiv und offen­bar noch unter dem Ein­fluss des Jet­lags. Im Lauf des Tages beschleicht uns dann auch ein flau­es Gefühl: viel­leicht ist alles nur Täu­schung, das Rei­se­bü­ro nur Kulis­se (wir haben ja kei­ne Ahnung, wo es sich befin­det), Mr. Mohan ein begab­ter Schau­spie­ler und wir das Geld los.

Govinda Hare

von Krish­na Das | Laug­hing at the Moon

Sight­see­ing
Zum gebuch­ten Paket gehört auch «unser» Dri­ver, Mr. Gupta, der uns sofort auf eine Tour mit dem Auto durch Old Delhi mit­nimmt. Mr. Gupta ist ein hoch­ge­wach­se­ner, grau­haa­ri­ger, etwas barsch wir­ken­der Herr, der mich ein wenig ein­schüch­tert. Als beson­de­res Merk­mal hat er einen dop­pel­ten Dau­men, dies ver­bin­det ihn mit dem Schau­spie­ler Hrithik Ros­han (den wir natür­lich zu die­sem Zeit­punkt noch nicht ken­nen, denn wir befin­den uns noch im fins­te­ren Prä-Bol­ly­wood-Zeit­al­ter, die Ent­de­ckung des Uni­ver­sums des indi­schen Films steht noch bevor…).

Mr. Gupta steu­ert also die wich­tigs­ten Sehens­wür­dig­kei­ten in Old Delhi an, und wir absol­vie­ren fol­gen­des Pro­gramm im Halb­traum: Red Fort (his­to­ri­scher Wen­de­punkt: mei­ne ers­te Masa­la Dosa!) die gros­se Jami Mas­jid, wo uns ein selbst­er­nann­tes Füh­rer­lein ein Haar und auch den Fuss­ab­druck des Pro­phe­ten zeigt. Er hat uns offen­bar sofort als Frisch­lin­ge erkannt, denn bei unse­ren spä­te­ren Besu­chen wird uns das nie mehr pas­sie­ren. Wir stau­nen­den Bleich­ge­sich­ter drü­cken ihm dann auch bereit­wil­lig 150 Rupi­es für die­se Sehens­wür­dig­kei­ten in die Hand. Die wun­der­ba­re Moschee und die beson­de­re Atmo­sphä­re des gross­ar­ti­gen Ortes neh­me ich nur ver­schwom­men wahr, eben­so das über­wäl­ti­gen­de Trei­ben auf den Stras­sen von Delhi: Autos, Riks­has, Velos, elen­de Zelt­sied­lun­gen, erle­se­ne Saris, Kame­le und Men­schen, Men­schen, Menschen.

Im hin­du­is­ti­schen Bir­la Tem­pel dann halb­wegs wie­der Boden unter den blos­sen Füs­sen. Die­ses Gewim­mel, der Lärm, die Gerü­che, das Gefühl, in einer wirk­lich frem­den Welt ange­kom­men zu sein: es ist alles ein biss­chen viel für den ers­ten Tag. Tau­send Bil­der schwir­ren im Kopf, in der Nacht Herz­klop­fen und durch­ge­schwitz­te Laken. Wie schön wäre es jetzt zu Hause!

Am nächs­ten Tag neh­men wir das Zmor­ge auf dem Dach des Restau­rants ein, unauf­hör­li­ches Hupen und Stras­sen­lärm und die rau­chi­ge Luft auch hier, unbe­kann­te Vogel­ru­fe, grü­ne Papa­gei­en und Raub­vö­gel. Mr. Gupta war­tet mit dem Auto in siche­rer Ent­fer­nung («don≠t tell anyo­ne in the hotel» hat er gesagt, eine nicht gera­de ver­trau­ens­bil­den­de Anwei­sung). Wir fah­ren zum Rei­se­bü­ro, das offen­bar doch real ist und wo uns Mr. Mohan beru­higt, dass alles bes­tens sei (allizz­well), die vou­chers für die Hotel­über­nach­tun­gen in Rajasthan vor­han­den und das Zug­bil­lett am Abend zum Abho­len bereit.

Sight­see­ing fin­det heu­te in New Delhi statt. Als ein­zi­ge Besu­cher wan­dern wir durch Teen Mur­ti Haus, der Wohn­sitz von Jawa­harl­al Neh­ru, mit vie­len Infor­ma­tio­nen und Fotos zur Geschich­te Indi­ens und einer Aus­stel­lung mit teil­wei­se bizar­ren Staats­ge­schen­ken. Die gepfleg­te Gar­ten­an­la­ge mit den schö­nen Blu­men­bee­ten ist eine ruhi­ge Oase. Wei­ter zum Gan­dhi Memo­ri­al Muse­um. In die­sem Haus wohn­te Gan­dhi­ji wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts in Delhi, und hier wur­de er auch ermor­det. Die letz­ten Schrit­te des Mahat­mas vor sei­nem Tod sind als Fuss­spu­ren aus Stein geformt, die Wor­te von Albert Ein­stein auf der Gedenk­ta­fel trei­ben mir Trä­nen in die Augen:
«Genera­ti­ons to come will scar­ce belie­ve that such a one as this ever in fle­sh and blood wal­ked upon this earth.» Im Haus vie­le Fotos, alles sehr bewe­gend.
Im Haus von Indi­ra Gan­dhi, der Toch­ter von Neh­ru, wie­der letz­te Schrit­te vor der Ermor­dung, dies­mal als Fluss aus Glas dar­ge­stellt. Die vie­len far­ben­präch­ti­gen Besu­cher und Besu­che­rin­nen betrach­ten respekt­voll die Aus­stel­lung im Muse­um. Spä­ter wer­den wir ins Rail­way Muse­um mit den impo­san­ten Loko­mo­ti­ven aus der lan­gen Geschich­te der Indian Rail­way gefah­ren, dann ein fei­nes Tha­li in einem ein­fa­chen Restau­rant, das Mr. Gupta emp­fiehlt. Wir wun­dern uns, dass er nicht mit uns am Tisch isst. Spä­ter wer­den wir erfah­ren, dass die­se Tren­nung (fast) immer besteht: hier die Tou­ris­ten und dort die Dri­ver, die unter sich blei­ben. Die­se offen­sicht­li­che Kluft zwi­schen oben und unten ist für uns West­ler gewöh­nungs­be­dürf­tig, aber viel­leicht sind wir ja auch für Mr. Gupta uner­wünsch­te Tisch­ge­nos­sen mit unse­ren (viel­leicht) unrei­nen Ess­ge­wohn­hei­ten.
Am Nach­mit­tag die weit­läu­fi­ge Anla­ge Qutab Minar mit dem 70 m hohen Turm (Minar), und Rui­nen aus der mus­li­mi­schen Epo­che, teil­wei­se aus Tei­len alter Hin­du­tem­pel gebaut, die mensch­li­chen Gesich­ter abge­schla­gen. Fei­ne Kal­li­gra­phien und durch­bro­che­ne Git­ter­mus­ter im Stein und die berühm­te Metall­säu­le (aus der Gupta(!)-Zeit, die nie ros­tet und Wün­sche wahr machen kann. Für mich sind die Men­schen eben­so sehens­wert wie das archi­tek­to­ni­sche Ensem­ble. Mich ent­zückt jeder Sari, die unzäh­li­gen Farb­kom­bi­na­tio­nen von Dupat­ta und Sal­war Kameez, die fun­keln­den Ban­gles, die strah­len­den Gesich­ter sowie­so.
Im Baha’i Lotus Tem­pel ent­täuscht nach dem impo­san­ten Äus­se­ren die ste­ri­le Atmo­sphä­re im Inne­ren, das mich an eine moder­ne, küh­le pro­tes­tan­ti­sche Kir­che erin­nert. Nach der rie­si­gen Anla­ge Raj Ghat mit den Gedenk­stät­ten von Mahat­ma Gan­dhi, Jawa­harl­al Neh­ru, Indi­ra und Rajiv Gan­dhi, die alle hier ver­brannt wur­den, ist dann der Kopf über­voll bzw. Fla­sche leer. Bei Mr. Mohan holen wir dann die (echt aus­se­hen­den) Hotel­vou­chers ab und erhal­ten auch das Bahn­bil­lett. Das Miss­trau­en und die ängst­li­chen Befürch­tun­gen waren unnö­tig! Allizz­well und Indi­en schon ein biss­chen ver­trau­ter, nach Hau­se will ich defi­ni­tiv nicht mehr.

On the road
Am nächs­ten Mor­gen sehen wir vom Hotel­dach aus Ele­fan­ten vor­über­zie­hen. Mr. Gupta salu­tiert pünkt­lich um sie­ben Uhr (inzwi­schen hat er das Auto frech vor dem Hotel par­kiert). Das eher älte­re Modell hat kei­ne Kli­ma­an­la­ge, was ange­nehm ist und die Rück­sit­ze, die für die nächs­ten 10 Tage unser Zuhau­se sein wer­den, sind mit weis­sen Lein­tü­chern gegen die schwit­zen­den Bleich­ge­sich­ter geschützt. Ers­te Schweiss­aus­brü­che ver­ur­sacht dann schon das etwas ande­re Fahr­ver­hal­ten auf Indi­ens Stras­sen. Thö­mu tauscht sei­nen Platz neben Mr. Gupta rela­tiv rasch mit dem Rück­sitz, vor lau­ter Zusam­men­zu­cken und Augen­schlies­sen bei den furcht­erre­gen­den Manö­vern konn­te er die Fahrt nicht wirk­lich genies­sen…
Lang­sam ver­än­dert sich die Land­schaft, wird karg und tro­cken, wir sehen Kamel­pflü­ge und Frau­en, die Las­ten auf dem Kopf tra­gen, viel Abfall, Elend, aber auch makel­los geklei­de­te Men­schen, stau­bi­ge Dör­fer, Tempel.

In Man­da­wa, in der Shek­ha­wa­ti Regi­on, sind wir in einem fürst­li­chen Have­li ein­quar­tiert. Ein Gui­de führt uns durch das Dorf, wir besich­ti­gen die typi­schen Wand­ma­le­rei­en (gelernt: am Schnauz lässt sich erken­nen, ob ein Mann Hin­du oder Mus­lim ist. Beim Hin­du wei­sen die Spit­zen des Schnurr­barts nach oben, beim Mus­lim nach unten). Ein Flö­ten­spie­ler into­niert «Frè­re Jac­ques», offen­bar hat es hier vie­le fran­zö­si­sche Tou­ris­ten. Thö­mu löst mit sei­nem per­fek­ten Hin­di Hei­ter­keit und gute Lau­ne aus, er kauft neue Plas­tik-Slip­per und dann die emp­foh­le­nen Pül­ver­li gegen das Elek­tro­ly­ten-Ungleich­ge­wicht bei Delhi Bel­ly. Lus­ti­ger­wei­se wer­den nicht wir, son­dern unser Dri­ver von dem­sel­bi­gen befal­len!
Im fried­li­chen Innen­hof unse­res Have­lis kommt fast ein biss­chen Maha­ra­ni Fee­ling auf. Ein fei­nes Nacht­es­sen gibt es auf der Dach­ter­ras­se des Hotels Shek­ha­wa­ti. Es ist der sechs­te Tag der zehn Tage dau­ern­den Dur­ga Puja, das Fest zu Ehren der Göt­tin Dur­ga und dem Kampf des Guten gegen das Böse. Über­all hat es Blu­men­gir­lan­den und glit­zern­de Bän­der. Am Abend ver­sam­meln sich die Men­schen auf dem geschmück­ten Platz in Man­da­wa. Die Gesän­ge beglei­ten uns in den Schlaf.

Paläs­te, Kunst und Kame­le
Wei­ter nach Bika­ner, der viert­gröss­ten Stadt Rajast­hans. Wir logie­ren in einer Art White House, dem Prin­ces Palace, da das Haupt­ho­tel voll ist mit indi­schen Kin­dern.
Sight­see­ing: Der rie­si­ge Lalg­har (rotes Haus) Palast des Rajas von Bika­ner, in dem ein Hotel und ein Muse­um unter­ge­bracht sind. Vie­le Fotos aus Zei­ten ver­gan­ge­ner Pracht, Pomp und eng­li­sche Sit­ten, Polo und Jagd­bil­der (erleg­te Tiger und Nas­hör­ner), dazu eine Aus­stel­lung wun­der­ba­rer Saris und Stof­fen. Das Gute dar­an ist, dass wir ohne ver­ord­ne­ten oder selbst­er­nann­ten Gui­de alles sel­ber anschau­en dür­fen! Das ändert sich dann beim Fort. Ein offi­cial Gui­de treibt uns durch die weit­läu­fi­gen Gemä­cher und rat­tert im Sten­os­til und kaum ver­ständ­li­chem Eng­lisch Mas­se und Gewich­te der ein­ge­setz­ten Mate­ria­li­en her­un­ter. Es gibt Kacheln aus Delft, Glas aus Mura­no, Mar­mor aus Car­ra­ra — und über­all wun­der­ba­re Stein­metz­ar­bei­ten und unvoll­stell­ba­ren Prunk. In der Grup­pe sind auch indi­sche Tou­ris­ten und die immer glei­chen Tou­ris cum Dri­ver, die offen­bar das glei­che Rei­se­pro­gramm absol­vie­ren wie wir. Spä­ter folgt noch die Besich­ti­gung der Kamel­zucht von Bika­ner und dem ange­schlos­se­nen Camel Rese­arch Cen­ter. Die Kame­le sind eigent­lich Dro­me­da­re, one-hum­ped camels und bes­tens an die Wüs­ten­be­din­gun­gen von Rajasthan angepasst.

Mr. Gupta fragt, ob wir an Kunst inter­es­siert sei­en und führt uns flugs in einen ent­spre­chen­den Laden. Bei den malen­den Brü­dern kau­fen wir für teu­res Geld eine Ele­fan­ten­mi­nia­tur und Thö­mu bekommt ein win­zi­ges Ele­fänt­li und unse­re Namen auf den Fin­ger­na­gel gemalt. Mr. Gupta ist glück­lich, denn für ihn fällt natür­lich eine Pro­vi­si­on ab. Das Znacht im Hotel ist erstaun­lich gut, trotz muf­fi­gen Ambi­en­te mit dem künst­li­chen Weih­nachts­baum und dem stau­bi­gen Kris­tall in der Vitri­ne. Wir sind die ein­zi­gen Gäs­te, der Kell­ner steht wäh­rend des gan­zen Essens unbe­weg­lich da und starrt uns unver­wandt an.

Nach dem Essen gehen wir ins Haupt­ho­tel, wo es Inter­net hat und erfah­ren vom schreck­li­chen Erd­be­ben in Paki­stan und Nor­di­ni­di­en. Offen­bar waren die Erschüt­te­run­gen auch in Delhi spür­bar, aber, obwohl wir am Sonn­tag­mor­gen noch dort waren, haben wir nichts davon bemerkt. Im Halb­schlaf wie­der Gesang. Dur­ga Puja dau­ert noch 2 Tage.

Nach dem Bre­ak­fast «Ori­en­tal Style» fah­ren wir schon um sie­ben Uhr los, denn wir haben 320 km bis Jaisal­mer vor uns. Wir fah­ren durch Wüs­te pur, ab und zu die leuch­ten­de Far­be eines Frau­en­gewands, Hir­s­e­fel­der (?), run­de stroh­ge­deck­te Lehm­hüt­ten, Kame­le, Kühe, total über­füll­te Gefähr­te mit Men­schen oder Mate­ri­al, Sand, die unend­lich schei­nen­de Ebe­ne. Manch­mal taucht ein Velo­fah­rer auf im Nir­gend­wo oder es erschei­nen ein paar Kin­der, dabei ist weit und breit kei­ne Sied­lung zu erken­nen. Mr. Gupta schiebt ein Indie-Kas­sett­li ein und wackelt enthu­si­as­tisch mit dem Kopf zur Musik, bei man­chen Lie­dern singt er sogar mit. Er taut zuse­hends auf, ges­tern hat er Thö­mu die Ziga­ret­ten gebracht, die im Auto lie­gen geblie­ben sind (my friend Tho­mas for­get his ciga­ret­te). Lei­der ist sein Eng­lisch nicht sehr gut, und vie­le unse­rer Fra­gen blei­ben trotz sei­ner Bemü­hun­gen unbeantwortet.

Für 20 Rupi­es gibt’s den Son­nen­un­ter­gang
Jaisal­mer taucht auf wie aus einem Traum, eine Bil­der­buch­stadt aus gol­de­nem Sand­stein, die auf einem Hügel thront. Unser Hotel ist Luxus pur, sogar ein (nicht wirk­lich ein­la­den­der) Swim­ming Pool ist vor­han­den. Ein kur­zer Spa­zier­gang durch ein Quar­tier am Fuss des Hügels ist eher ein Spiess­ru­ten­lau­fen, sofort sind wir von Kin­dern umringt, sie rufen reflex­ar­tig «Hel­lo what≠s your name rupi­es school pen» und hän­gen sich uns an die Fer­sen. Wir kom­men uns vor wie Ein­dring­lin­ge und keh­ren rasch zum Hotel zurück.

Dann treibt uns Mr. Gupta zum Gadi Sagar, dem künst­lich ange­leg­ten See mit sei­nen Tem­peln und Schrei­nen. Alles sehr male­risch und auch wun­der­schön, aber auch ein biss­chen absurd, wie alle Tou­ris­ten die zahl­rei­chen Flö­ten­spie­ler foto­gra­fie­ren, die am Ufer fran­zö­si­sche Wei­sen spie­len. Dabei sind die fili­gra­nen Stein­metz­ar­bei­ten wirk­lich sehens­wert, doch die all­ge­gen­wär­ti­gen Gui­des, die sich über­all auf­drän­gen wol­len, ner­ven ein bisschen.

Mit Hun­dert­schaf­ten ande­rer Tou­ris­ten geht≠s dann zum Sun­set Point. Die Bay­ern trin­ken Bier und wir flie­hen auf die ande­re Sei­te des Hügels, wo der Son­nen­un­ter­gang 20 Rupi­es (plus 10 Rupi­es für die Kame­ra) kos­tet. Unbe­glei­tet gehen wir spä­ter durch beleb­te Gäss­chen mit vie­len Händ­lern in die wun­der­ba­re Stadt. Das Znacht auf einer Zin­ne mit Lich­ter­meer und Fle­der­mäu­sen √ wie ein schö­ner Traum! Auf dem Heim­weg kom­men wir an fest­lich geklei­de­ten tan­zen­den Mäd­chen vor­bei: der letz­te Tag von Dur­ga Puja. Wir geneh­mi­gen uns ein Bier­chen im Hotel­gar­ten mit dem unna­tür­lich wei­chen und üppi­gen Gras mit­ten in der Wüste.

Ein schit­te­res Zmor­ge für ein Hotel die­ser Preis­klas­se, doch da Thö­mu an ver­spä­te­tem Delhi Bel­ly lei­det, sind Tea and Toast nicht die schlech­tes­te Wahl.

Auf die Füh­rung durch Jaisal­mer will ich zuerst ver­zich­ten, bin aber dann doch froh um den Gui­de, der sehr viel weiss und vor allem gut Eng­lisch spricht. Er ist auch aus­ser­or­dent­lich char­mant und will mei­nen Ruck­sack tra­gen («you are old and I am young»), die­sem Argu­ment kann aun­tie ja wirk­lich nichts ent­ge­gen hal­ten! Ich erfah­re viel über Kul­tur und Tra­di­ti­on, Brah­mins und Essens­vor­schrif­ten, Jai­nis­mus und Bau­kunst. In einem Tem­pel mit einem Shi­va Lingam erzählt er, dass ihm erst kürz­lich die Bedeu­tung von Lingam und Yoni als Sym­bo­le von männ­lich und weib­lich bewusst wur­de, und zwar hät­ten ihn die Fra­gen der Tou­ris­ten dar­auf gebraucht. Als Kind habe er mit sei­ner Gross­mutter die Ritua­le durch­ge­führt und es dann ein­fach wei­ter so gehal­ten, er hat­te nie das Bedürf­nis, zu «ver­ste­hen». Es sei fast ein biss­chen erschro­cken, als er plötz­lich erkannt habe, was die bei­den For­men sym­bo­li­sie­ren. Ich habe das Gefühl, dass es ihm immer noch ein biss­chen pein­lich ist, die­se offen­sicht­li­che Dar­stel­lung von etwas, das im heu­ti­gen Indi­en tabu ist.

In einem klei­nen Musik­la­den kau­fe ich auf Emp­feh­lung des net­ten Ver­käu­fers eine CD mit tra­di­tio­nel­len Gesän­gen. Es ist sehr heiss, aber dank der tro­cke­nen Wüs­ten­luft erträg­lich. Den Nach­mit­tag ver­brin­gen wir im ven­ti­lier­ten Hotel­zim­mer und ruhen uns aus. Dr. Gupta hat Curd (Joghurt) und Tablet­ten ver­schrie­ben und auch gleich besorgt und Thö­mu geht es schon bes­ser. Spä­ter stür­zen wir uns wie­der ins Trei­ben. Die leuch­ten­den Far­ben der Frau­en­klei­der sind eine Augen­wei­de, die Stadt im Abend­licht ein gol­de­ner Traum. Nacht­es­sen im Litt­le Tibet Restau­rant auf einer ande­ren Burg­zin­ne. Bei Strom­aus­fall ist alles noch geheim­nis­vol­ler √ Mond­licht und Fle­der­mäu­se. Thö­mu begnügt sich mit Schwarz­tee, sein Bauch braucht noch Ruhe.

Mit Son­ja und Rai­ta durch die Wüs­te
Den nächs­ten Mor­gen ver­brin­gen wir geruh­sam, trin­ken Tee und kau­fen Was­ser, der net­te Laden­be­sit­zer, der bereits beim Essen sitzt, öff­net extra für uns.
Am Nach­mit­tag fah­ren wir dann wei­ter in die Wüs­te, stach­li­ge Gewäch­se, Kamel­her­den, gol­de­ne Lime­stone-Bro­cken, Sand und Wei­te. Als wir in der klei­nen Sied­lung mit den stroh­ge­deck­ten Rund­bau­ten ankom­men, erwar­ten uns bereits unse­re nächs­ten Beglei­te­rin­nen Son­ja und Rai­ta mit ihren Füh­rern: «Camel ist rea­dy for you, Sir». Wie schon so oft wird Madam nicht direkt ange­spro­chen, zustän­dig ist in allen Lebens­la­gen nur Sir. Ich gewöh­ne mich lang­sam dar­an, irgend­wie unsicht­bar zu sein. Es ist manch­mal sogar ange­nehm, die Initia­ti­ve Thö­mu zu über­las­sen, aus­ser­dem ist er viel bes­ser im Feil­schen, Orga­ni­sie­ren und Ver­han­deln. Es fällt mir aber auch auf, dass wir bis­her kaum mit Frau­en in Kon­takt gekom­men sind, weder im Restau­rant noch im Hotel noch in einem der unzäh­li­gen klei­nen Läden √ und natür­lich sind auch die bei­den Kamel­füh­rer Män­ner in schö­nen oran­ge­nen Tur­ba­nen. Son­ja und Rai­ta tra­gen uns gemäch­lich zu den berühm­ten Sand­dü­nen, um ein­mal mehr einem Sun­set bei­zu­woh­nen, zusam­men mit dem Sun­ri­se ein viel­be­ach­te­tes Ereig­nis für Tou­ris­ten in Indi­en. Der kur­ze Zwi­schen­halt in der Nähe eines Dor­fes ist nicht son­der­lich erhol­sam, Schwär­me von Kin­dern, dar­un­ter ein win­zi­ges Gnöm­li mit sei­ner schwan­ge­ren Mut­ter bedrän­gen uns für one pen, one rupie oder one cho­co­la­te (!). Spä­ter taucht mit­ten im Nir­gend­wo ein klei­nes Bürsch­chen auf mit Pep­si und Beer. In den Dünen ver­sam­meln sich dann Hun­der­schaf­ten von Tou­ris­ten. Musi­ker spie­len für jeden Gast per­sön­lich mit Namens­auf­ruf einen «Will­kom­mens­gruss des Maha­ra­jas»… Ein ziem­li­cher Rum­mel, und als die Son­ne wunsch­ge­mäss unter­ge­gan­gen ist, zie­hen die Kara­wa­nen per Jeep oder Kamel wie­der heim­wärts. Wir bekom­men in unse­rem Dörf­chen eine musi­ka­li­sche Dar­bie­tung mit Tanz und ein indi­sches Buf­fet mit Spe­zia­li­tä­ten aus der Gegend, dar­un­ter die Desert Beans, die mich an Dörr­boh­nen erin­nern. Wir schla­fen in einem der Lehm­häu­ser, die Dri­vers haben es sich auf den Lie­gen und frei­em Him­mel bequem gemacht.

Die blaue Stadt
Am nächs­ten Tag geht es wei­ter Rich­tung Jodh­pur. Mr. Gupt­as Wor­te «Very nice desert!» sind kaum aus­ge­spro­chen, als das Auto sei­nen Geist auf­gibt. Sofort wer­den die Jungs von der (zum Glück) nahen Tank­stel­le her­bei­ge­winkt und zum Stos­sen ange­wie­sen, aber aller Bemü­hun­gen zum Trotz macht das Auto kei­nen Wank mehr. Mir fällt auf, wie bereit­wil­lig die Men­schen hel­fen, um dann ohne ein Wort des Dan­kes wie­der «ent­las­sen» zu wer­den. Das nächs­te Auto, das zufäl­lig vor­bei­kommt, wird von Mr. Gupta ange­hal­ten, der Fah­rer im blü­ten­weis­sen Anzug besieht sich die Sache, wen­det und besorgt ein Seil. Inzwi­schen hält ein ande­rer Wagen mit einem All India Per­mit (und das alles mit­ten in der Wüs­te). Wir wer­den samt unse­ren Ruck­sä­cken umge­packt und fah­ren flott im kli­ma­ti­sier­ten Auto mit Nora, Andrew und ihrem Dri­ver nach Jodh­pur, direkt vor das Hotel Heritage.

Unser Zim­mer im Hotel ist rie­sig, hell­grün und mit Weih­nachts­ku­geln an der Decke. Gegen Abend fah­ren wir mit der Rik­s­ha zum Clock­tower im Zen­trum der Stadt, wo das Leben tobt. Ein viel­fäl­ti­ger Markt, enge Gas­sen mit jeweils nur Sil­ber­schmie­den oder Gewür­zen, Buch­bin­dern oder Schnei­dern, Sei­fen oder Tex­ti­li­en. Wir kom­men zu einer Mol­ke­rei mit rie­si­gen Kes­seln im Halb­dun­kel, ver­lau­fen uns in den engen ver­win­kel­ten Gäss­chen und wer­den von hilf­rei­chen Geis­tern wie­der aus dem Gewim­mel her­aus beglei­tet. Auf dem Roof­top eines Restau­rants füh­ren wir eine eigen­ar­ti­ge Unter­hal­tung mit dem jün­ge­ren Bru­der des Besit­zers «I am very angry with my life» √ wonach er sich aber sofort bei den gött­li­chen Instan­zen ent­schul­digt. Das Essen ist fein und der Aus­blick auf das Meh­an­gar Fort ein­drück­lich. Im Hotel ist inzwi­schen auch Mr. Gupta ein­ge­trof­fen, er ist mit dem Bus gefah­ren, das Auto wur­de irgend­wie zum Mecha­ni­ker in Jodh­pur trans­por­tiert, und er ist zuver­sicht­lich, dass es am nächs­ten Nach­mit­tag wie­der fahr­tüch­tig sein wird.

Am nächs­ten Tag besich­ti­gen wir das Meher­an­gar Fort. Mit dem Ein­tritts­ti­cket gibt≠s Kopf­hö­rer und eine aus­ser­or­dent­lich gute Audio­füh­rung mit viel Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen in gutem Deutsch, sehr span­nend gemacht. Dazwi­schen immer wie­der Lobes­hym­nen auf den heu­ti­gen Maha­ra­ja Gaj Singh, der offen­bar vie­le kari­ta­ti­ve Wer­ke unter­stützt. Wir besu­chen sei­nen Palast Umaid Bha­wan am Nach­mit­tag, ein fast gro­tesk rie­si­ges Anwe­sen. Ein Teil ist Pri­vat­re­si­denz, ein Teil Luxus­ho­tel, dazu ein klei­nes Museum.

Im Gar­ten des Hotels gibt es am Abend zwei Fei­er­abend­bier­chen «for free» (im Aus­tausch gegen ein paar Euros und Schwei­zer Fran­ken, die der Recep­tio­nist sam­melt). Wie schon am Abend zuvor wird ein Jun­ge mit dem Velo los­ge­schickt, das Hotel hat offen­bar kei­ne Lizenz und den Bier­fla­schen wer­den des­halb dis­kret Papier­ser­vi­et­ten-Tarn­kap­pen über­ge­zo­gen. Mr. Gupta braucht 3000 Rupi­es Vor­schuss für die Repa­ra­tur des Autos, er will uns das Geld spä­ter wie­der zurückgeben.

You go trek­king!
Das Auto ist am nächs­ten Tag dann tat­säch­lich wie­der fahr­be­reit! Durch immer grü­ner und hüge­li­ger wer­den­de Land­schaft geht≠s Rich­tung Ran­akpur. Bei der wie­der sehr beschwing­ten Fahr­wei­se (Mr. Gupta ist froh, dass sein Auto wie­der läuft) geht unter­wegs ein Rück­spie­gel beim Zusam­men­tref­fen mit einer Kuh kaputt, sie hat es zum Glück wohl kaum bemerkt. Denn ein Unfall mit einer Kuh käme offen­bar sehr teu­er zu ste­hen, teu­rer als mit einem Men­schen! Das Hotel Cast­le in Ran­ka­pur besteht aus meh­re­ren run­den Bun­ga­lows unter Bäu­men, im üppi­gem Gar­ten wach­sen Ole­an­der, Bou­gain­villea und ein unbe­kann­ter Strauch mit wun­der­bar duf­ten­den creme­weis­sen Blü­ten √ eine Erfri­schung für die Sin­ne nach der ver­schmutz­ten Stadt­luft. Der Jain Tem­pel ist gross­ar­tig, all die Orna­men­te und Säu­len fast zu viel der Pracht. Inmit­ten der grü­nen Hügel gele­gen ist er so ganz anders als alle Bau­wer­ke, die wir bis jetzt gese­hen haben. Auch die Land­schaft über­rascht, auf Befehl von Mr. Gupta «you go trek­king!» bestei­gen wir einen Hügel mit einem uner­war­te­ten Aus­blick auf einen See. Frem­de Vogel­stim­men, Affen tur­nen auf den Bäu­men, eine far­big geklei­de­te Fami­lie beim Arbei­ten auf dem Feld winkt uns zu. Und dazu gra­tis ein Sun­set nur für uns allein. Zum Znacht, das wir als ein­zi­ge Gäs­te im Hotel­gar­ten essen, bestellt Thö­mu ein Tan­doo­ri Chi­cken. Der Geruch des aasi­gen Hühn­chens lässt Schlim­mes erah­nen, der Geschmack eben­so. Trotz­dem isst Thö­mu tap­fer alles auf, zum Glück hat es kei­ne Fol­gen. Eine Lebens­mit­tel­ver­gif­tung könn­ten wir näm­lich ganz bestimmt nicht brauchen.

Am nächs­ten Mor­gen fällt das Ritu­al von Mr. Gupta etwas län­ger aus als üblich. Er voll­führt jeweils am Mor­gen vor sei­nem Altär­chen auf dem Arma­tu­ren­brett gewis­se Bewe­gun­gen und Ges­ten, bis jetzt mit Erfolg, denn Gane­sha hat uns ja bis­her zuver­läs­sig (fast) alle Hin­der­nis­se aus dem Weg geräumt. Wir mer­ken dann auch gleich, wie­so er heu­te beson­ders gefragt ist: Die Stras­se wird immer kur­ven­rei­cher und steigt dann an bis zu einem pass­ähn­li­chen Über­gang. Die­se Berg­stre­cke ist defi­ni­tiv nicht das Res­sort unse­res Drivers!

James Bond was here
Bald tau­chen ers­te Bana­nen­stau­den auf, eine Art Hir­se, Pal­men, auch Seen mit Lotus­blu­men. Unser nächs­tes Ziel, Udaipur, ist eine ver­hält­nis­mäs­sig auf­ge­räum­te Stadt mit viel Grün am Picho­la See. Das ers­te Mal sehe ich Frau­en als Fah­re­rin­nen auf den all­ge­gen­wär­ti­gen Motor­rol­lern. Das Hotel India Inter­na­tio­nal ist das feins­te bis­her, offen­sicht­lich wirk­lich mit einem inter­na­tio­na­ler Stan­dard. Das ers­te Mal fehlt im Bade­zim­mer näm­lich der klei­ne Was­ser­hahn und das Plas­tik­kü­beli neben dem WC und es gibt Toilettenpapier.

Wir wol­len den den Palast besich­ti­gen, und wir wol­len es unbe­glei­tet tun. Dies erklä­ren wir auch dem Füh­rer, der sich uns an die Fer­sen hef­tet. Er schüt­telt ent­täuscht den Kopf und warnt uns, dass wir von einem Besuch ohne sei­ne Erklä­run­gen gar nichts haben wer­den: «It is like silent movie»! Die stum­me Pracht ist uns aber genug, und im Zwei­fels­fall hilft auch der gedruck­te Rei­se­füh­rer. Wie­der ein uner­mess­lich rei­cher Maha­ra­ja und pracht­vol­le Räu­me, die Son­nen­schei­be als Sym­bol, dass die Sip­pe der Singh direk­te Abkömm­lin­ge der Son­ne sind.
Vor dem Vish­nu geweih­ten Jag­dish Tem­pel, in dem offen­bar Sze­nen des James Bond Film Octo­pus­sy gedreht wor­den sind, sit­zen Blu­men­ver­käu­fe­rin­nen mit Kör­ben vol­ler Rosen­blü­ten und Tage­tes. Und dann und wann schrei­tet ein Ele­fant vorbei.

Mr. Gupta fährt uns zu einem Park, wo wir ein biss­chen durch­at­men kön­nen. Ich habe mich noch immer nicht ganz dar­an gewöhnt, dass wir so lan­ge ver­wei­len kön­nen, wie wir wol­len und dass er auf uns war­tet, wenn es sein muss, auch stun­den­lang. Aber trotz­dem füh­len wir uns immer ein biss­chen gehetzt.

Wei­ter fah­ren wir in eine Art Bal­len­berg, ein Frei­licht­mu­se­um mit Häu­sern und Kunst­hand­werk aus ver­schie­de­nen Regio­nen Indi­ens. Ein­hei­mi­sche füh­ren Tän­ze vor und zei­gen ihr Hand­werk. Da es aus­ser uns kei­ne Tou­ris­ten hat, wirkt das Gan­ze ziem­lich trost­los und ich füh­le mich nicht sehr wohl in die­ser Zuschau­er­rol­le, es hat etwas Voyeuristisches.

Am Abend essen wir in einem der zahl­rei­chen Roof­tops, wo fast über­all Octo­pus­sy in einer End­los­schlei­fe läuft. Das berühm­te Hotel auf der Insel im See ist beleuch­tet, und der fast vol­le Mond steht am Himmel.

Wir besu­chen den Jag­dish Tem­pel am nächs­ten Tag. Ein Männ­chen (natür­lich ist auch er im James Bond Film auf­ge­tre­ten) zeigt uns spe­zi­ell pikan­te ero­ti­sche Dar­stel­lun­gen, offen­bar wol­len das die Tou­ris­ten sehen… Die Vish­nu Sta­tue mit den leuch­ten­den Augen wird nach der Zere­mo­nie mit einem gol­de­nen Vor­hang verhüllt.

Täfe­li aus der Schweiz
Am nächs­ten Tag geht es schon früh los, zuerst frucht­ba­res Land, pflü­gen­de Bau­ern, Baum­wol­le und Tabak, dann wird es wie­der karg und wüs­ten­ähn­lich. Am Stras­sen­rand reiht sich kilo­me­ter­wei­se eine Stein­werk­statt mit rie­si­gen Mar­mor- und Gra­nit­blö­cken an die ande­re. In einer Rast­stät­te tref­fen wir wie­der den Dri­ver Kol­le­gen von Mr. Gupta, dem wir schon mehr­mals begeg­net sind. Im Gespräch stellt sich her­aus, dass Raju die­ses Jahr im Febru­ar mit Bekann­ten von uns aus Bern unter­wegs war! Wir tau­schen Adres­sen aus, und er bie­tet uns Schwei­zer Hus­ten­tä­fe­li an.

Auf dem High­way hat es dann erschre­ckend vie­le Trucks, die Fahr­ma­nö­ver sind teil­wei­se sehr gewagt, aber wir kom­men trotz Ser­pen­ti­nen und Stei­gung heil in Push­kar an. Am Stras­sen­rand fal­len mir die vie­len Flecht­hand­wer­ker auf und die schö­nen Hocker aus Rohr.

In Push­kar bezie­hen wir einen net­ten cha­let­ähn­li­chen Bun­ga­low inmit­ten von Bana­nen­stau­den und Pal­men, der hei­li­ge See ist nur ein paar Minu­ten ent­fernt. Der Tem­pel in Push­kar ist übri­gens einer der ganz weni­gen Brah­ma-Tem­pel in Indi­en. Auf den Stu­fen zum See betrach­ten wie den Son­nen­un­ter­gang zusam­men mit vie­len ande­ren Tou­ris­ten. Über­all Tem­pel und Medi­tie­ren­de, auf der welt­li­chen Sei­te des Sees eine Art Hip­pie-Town mit vie­len far­bi­gen Klei­dern, indi­schen Acces­soires und Bob Mar­ley Pla­ka­ten — ich kom­me mir defi­ni­tiv alt vor. Ein fei­nes Nacht­es­sen (strict­ly vege­ta­ri­an und alko­hol­frei) mit Sicht auf den See, dazu Klän­ge aus ande­ren Wel­ten, hare Krish­na, hare Rama, hare hare.

Am nächs­ten Tag bestei­gen wir einen der hoch auf­ra­gen­den Hügel. Es ist spät am Nach­mit­tag und wir lau­fen bar­fuss über den schö­nen alten Plat­ten­weg, begeg­nen Zie­gen­her­den und genies­sen den Blick auf die Rosen­fel­der und das Städt­chen. Der Tem­pel oben ist nicht beson­ders schön, die Aus­sicht um so mehr. In der Ebe­ne sehen wir gros­se Zelt­städ­te, die für die bevor­ste­hen­de Push­kar Camel Fair errich­tet wur­den. Ein klei­ner Imbiss­stand hat es auf dem Hügel, der Jun­ge, der uns ein Lim­ca ser­viert, ver­blüfft mit akzent­frei­em Bern­deutsch. Offen­bar hat er im heis­sen Som­mer 2003 ein paar Mona­te in Bel­lach ver­bracht, er kennt Bern, die Aare und den indi­schen Laden Aggar­wal. Den Son­nen­un­ter­gang in die­ser Umge­bung ist ein Genuss. In die­ser schö­nen ruhi­gen Stim­mung machen wir uns auf den Abstieg und essen im glei­chen Restau­rant wie am Vorabend.

Ich schaf­fe es nicht, den See in den frü­hen Mor­gen­stun­den zu sehen, wenn die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung noch fast unter sich ist, Thö­mu aber schon und er ist beein­druckt. Ein küh­ler Tag mit fri­schem Wind, sehr ange­nehm für die Wei­ter­fahrt nach Jaipur.

Nicht alles rosig in Jaipur
Jaipur ist auf den ers­ten Blick ent­täu­schend, die pink City erscheint eher in faden haut­far­be­nen Tönen gestri­chen, sehr viel Ver­kehr und Staub, der Palast der Win­de ein lau­es Lüft­chen. Auf den Fotos sieht er viel impo­san­ter aus als in Wirk­lich­keit, aus­ser­dem wer­den wir der­mas­sen von Händ­lern bedrängt, dass wir nicht lan­ge ver­wei­len vor dem kulis­sen­haf­ten Hawa Mahal. Durch den chao­ti­schen Ver­kehr, an vie­len Ver­kaufs­stän­den und Hel­lo hel­lo Rufen vor­bei in das gros­se düs­te­re Government Impe­ri­um. Im schumm­ri­gen Halb­dun­kel sind die ange­bo­te­nen Arti­kel nur knapp zu erken­nen, aber wir dür­fen uns unbe­drängt bewe­gen, da die Ange­stell­ten nicht wirk­lich an einem Geschäft inter­es­siert zu sein schei­nen. Mir kommt es sehr ent­ge­gen, denn die all­zu auf­dring­li­chen Händ­ler ersti­cken bei mir jede Kauf­lust im Keim. So schön die all­ge­gen­wär­ti­gen rajast­ha­ni­schen Kat­put­li (Mario­net­ten), die mit Spie­gel­chen bestick­ten Kis­sen und die far­bi­gen Decken auch sind: wir haben noch eine lan­ge Rei­se vor uns und brau­chen wirk­lich nichts davon. Bei Ban­gles jedoch wer­de ich regel­mäs­sig schwach, und im Government Shop kau­fe ich auch 4 Sets davon in allen Far­ben. Sie sind ganz beson­ders gefer­tigt, mit ein­ge­leg­ten Spie­gel­split­ter­chen, und auf der gan­zen Rei­se wer­de ich nie mehr glei­che fin­den. Die hauch­dün­ne gefüll­te Paper Dosa im süd­in­di­schen Restau­rant ist dann auch unver­gleich­lich gut. Eine Rik­scha bringt uns zurück ins Hotel.

Zum Ajmer Fort am nächs­ten Tag beglei­tet uns ein eher unan­ge­neh­mer Tour Gui­de, den Mr Gupta orga­ni­siert hat. Anstatt sich per Ele­fant zum Fort hin­auf schau­keln zu las­sen, ste­gen wir zu Fuss hoch. Ein wei­te­rer präch­ti­ger Palast, lang­sam gera­ten mir all die glit­zern­den Inte­ri­eurs durch­ein­an­der. Der schwim­men­de Gar­ten gefällt mir jedoch beson­ders gut. Lei­der hat es schon seit vier oder fünf Jah­ren nicht mehr gereg­net und der Was­ser­stand des Sees ist sehr nied­rig. Im trü­ben Was­ser wer­den Ele­fan­ten gebadet.

Jan­t­ar Man­t­ar, das Obser­va­to­ri­um in Jaipur aus dem frü­hen 18. Jahr­hun­dert mit den über­di­men­sio­nier­ten Mess­in­stru­men­ten ist sehr inter­es­sant, obwohl ich die Erklä­run­gen unse­res Füh­rers nur halb ver­ste­he. Die Zeit, aber auch der Son­nen­lauf wird offen­bar erstaun­lich genau ange­ge­ben. Wir fin­den auch die Tier­kreis­zei­chen. Unser Gui­de irri­tiert uns aber zuneh­mend, er ist ziem­lich unfreund­lich, aus­ser­dem hat er einen Tic, er berührt alle paar Augen­bli­cke sei­ne Schuh­soh­len. Als wir dann noch in einen Tep­pich­la­den und in ein unter­kühl­tes Tou­ris­ten­re­stau­rant mit über­höh­ten Prei­sen geschleppt wer­den und Lunch bestel­len sol­len, haben wir genug. Madam hat schlim­me Kopf­schmer­zen und muss sich sofort hin­le­gen! So wer­den der Füh­rer, der Hand­le­ser und die Stein­metz-Demons­tra­ti­on abge­wim­melt und wir las­sen uns ins Hotel fah­ren. Mr Gupta ist zwar unmu­tig, aber inzwi­schen wagen wir es manch­mal, uns unse­rem stren­gen Dri­ver zu wider­set­zen. Wir müs­sen noch in die Rol­le des Sahibs und der Memsa­hib hin­ein­wach­sen, aber rich­tig wohl füh­le ich mich nicht dar­in und wer­de es ver­mut­lich auch nie!

Spä­ter schlei­chen wir uns in der Dun­kel­heit aus dem Hotel und steu­ern das Hotel Hand an der M.G. Road an. Ich bestel­le ein Kor­ma und Thö­mu ein Murgh, das deut­lich anders riecht, als das schlim­me Hühn­chen in Ran­akpur.
Im gros­sen und gan­zen bleibt Jaipur für mich eine Ent­täu­schung, aber das liegt sicher dar­an, dass wir in so kur­zer Zeit durch so vie­le «Sehens­wür­dig­kei­ten» geführt wur­den und ich lang­sam genug habe von die­ser Art des Rei­sens. Es bleibt kaum Zeit zum Durch­at­men und sich geruh­sam einem Ort anzu­nä­hern. Ger­ne wür­de ich mehr vom All­tag der Men­schen mit­be­kom­men oder auch ein­mal Ent­de­ckun­gen abseits der Tou­ris­ten­zie­le machen.

Ein High­light ist dann die Velo­tour durch den Keo­la­deo Natio­nal­park, ein Abste­cher auf dem Weg nach Fateh­pur Sik­ri. In herr­li­cher Ruhe durch die wun­der­ba­re Was­ser­land­schaft radeln ist genau die rich­ti­ge Art, die­ses Stück Natur zu erkun­den. Wir sehen Kra­ni­che, Stör­che und Kor­mo­ra­ne, Ech­sen, einen Scha­kal, Anti­lo­pen, Affen, Wild­schwei­ne und Papa­gei­en. Weit und breit kei­ne Men­schen, der Bett­ler am Weges­rand ent­puppt sich beim Näher­kom­men als gros­ser Affe.

Beglückt und müde fah­ren wir mit dem Auto wei­ter nach Fateh­pur Sik­ri. Die von Akbar gegrün­de­te Stadt erglüht im spä­ten Son­nen­licht. Wir spa­zie­ren durch die Geis­ter­stadt mit den inter­es­san­ten Bau­wer­ken und genies­sen die Ruhe. Der Besuch in der Moschee ist dann eher wie­der ein Spiess­ru­ten­lau­fen, auf­säs­si­ge «Stu­dents» las­sen kei­ne Ruhe und wol­len alles zei­gen, ich flie­he entnervt.

In Agra ist es schon dun­kel, die Luft rau­chig und vol­ler Abga­se. Mr Gupta ist ange­spannt, er mag die Stadt offen­bar gar nicht, und Fah­ren im Dun­keln ist ihm auch nicht geheu­er. Das Hotel ist eine posi­ti­ve Über­ra­schung, das Zim­mer ist rie­sig und das Din­ner, das wir als spä­te und ein­zi­ge Gäs­te ser­viert bekom­men, ist exzellent.

Das schöns­te Bau­werk
Der Start am nächs­ten Mor­gen ist um sie­ben, wir wol­len dem Taj Mahal früh die Ehre erwei­sen. Obwohl von unzäh­li­gen Bil­dern bekannt, ist die­ser strah­len­de Bau etwas vom Schöns­ten, was ich bis­her gese­hen habe. In der mil­chi­gen Luft zuerst wie ein Traum, dann erscheint er immer kla­rer und schliess­lich über­wäl­ti­gend schön — im Nu sind zwei Stun­den um, und noch immer haben wir uns nicht satt gese­hen. Die vie­len Men­schen neh­me ich gar nicht wahr, sie ver­schwin­den in den weit­läu­fi­gen Anla­gen und wer­den über­strahlt von die­sem Wun­der­werk. Nach­her wol­len wir gar nichts ande­res mehr sehen in Agra.
Und am spä­ten Nach­mit­tag heisst es dann: Fare­well Mr. Gupta! Er bringt uns zum Bahn­hof, und nach­dem wir ihm noch ein fürst­li­ches Trink­geld gege­ben haben (wir haben es noch etwas erhöht, da sein Gesichts­aus­druck zuerst sehr ver­hal­ten war, dann jedoch freu­di­ger und das Kopf­wa­ckeln immer leb­haf­ter) bestei­gen wir den Zug in den Süden. Spä­ter wer­den wir ler­nen, dass ein fast abwei­sen­des Ent­ge­gen­neh­men von Geld kein Aus­druck von Undank­bar­keit ist, son­dern nor­mal. Irgend­wo habe ich gele­sen, dass man an der bei­läu­fi­gen und fast unfreund­li­chen Art, wie etwas ent­ge­gen­ge­nom­men wird, erkennt, dass die Gabe als ange­mes­sen akzep­tiert wur­de. Für uns ist über­haupt gewöh­nungs­be­dürf­tig, dass in Indi­en kaum Dan­ke gesagt wird in Situa­tio­nen, in denen wir es erwar­ten wür­den. So haben wir immer wie­der beob­ach­tet, dass Pas­san­ten vom Taxi- oder Riks­ha­fah­rer nach dem Weg gefragt wur­den, und nach­dem sie aus­führ­li­che und hilf­rei­che Erklä­run­gen gege­ben hat­ten, wort­los ste­hen gelas­sen wur­den. Dies stört nie­man­den, denn es ist nor­mal, sol­che Gefäl­lig­kei­ten zu erwei­sen, und kein Mensch erwar­tet eine Dan­kes­be­zeu­gung. Obwohl es das Wort «dan­ya­vad» oder «shu­kria» durch­aus gibt, habe ich es kaum gehört. Häu­fi­ger ist «thank you», aber dies wird in allen mög­li­chen Situa­tio­nen gebraucht und nicht immer im eigent­li­chen Sinn.

45 Stun­den im Zug…
Wir ver­brin­gen also die nächs­ten zwei Tage und Näch­te in unse­rem beque­men Two Tiers, das heisst vier Lie­gen in einem Abteil, eine kom­for­ta­ble Art zu rei­sen. Immer wie­der schallt der Ruf «chai chai chai» oder «cophee cophee cophee» durch den Zug. Essen gibt es auf Vor­be­stel­lung oder an den Bahn­hö­fen. Ob wäss­ri­ger Dal aus der Zugs­kü­che oder in Zei­tungs­pa­pier ver­pack­te schar­fe Samo­sas von flie­gen­den Händ­lern auf einem Bahn­hof: alles schmeckt, und offen­bar haben sich unse­re Mägen jetzt an das Essen gewöhnt. Ver­dau­ungs­pro­ble­me auf einer lan­gen Zugs­rei­se stel­le ich mir ziem­lich unan­ge­nehm vor mit jeweils nur 2 Toi­let­ten pro Wagen («Indian Style» und «Wes­tern Style»). Wobei zu bemer­ken ist, dass die­se viel­be­nutz­ten Orte sehr sau­ber blei­ben bis am Schluss der Rei­se. Zäh­ne­put­zen und Kat­zen­wä­sche wird am klei­nen Wasch­be­cken erle­digt, und im Gegen­satz zu unse­ren indi­schen Mit­rei­sen­den, die immer noch frisch aus­se­hen wie in der ers­ten Stun­de, sehen wir Bleich­ge­sich­ter ziem­lich zer­knit­tert aus. Wie die Inder es schaf­fen, auch unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen meist gepflegt und adrett aus­zu­se­hen, erstaunt mich immer wie­der! Alle haben immer ein Taschen­tuch dabei, um sich das Gesicht zu trock­nen, aus­ser­dem knit­tert ein Sari natür­lich viel weni­ger als unse­re Blu­sen und Hosen. Bei den Frau­en beob­ach­te ich den mul­ti­funk­tio­nel­len Ein­satz von Tüchern aller Art: als Sicht­schutz, als Decke, zum Abtrock­nen — auf mei­nen nächs­ten Rei­sen wer­de ich immer ein gros­ses leich­tes Tuch mit­neh­men, ide­al auch bei schmudd­li­gen Bett­la­ken und bei ste­chen­der Sonne.

Erstaun­lich, wie schnell die lan­ge Fahrt ver­geht mit Lesen, Sudo­ku lösen, Schla­fen und vor allem zum Fens­ter-hin­aus-Schau­en. Die Land­schaft ver­än­dert sich, wird grü­ner, Pal­men tau­chen auf, über­flu­te­te Reis­fel­der, Lotus­blu­men. Ab und zu sogar ein paar Wol­ken und ein paar Trop­fen Regen. Die Bahn­hö­fe sind sau­be­rer und weni­ger chao­tisch, alles erscheint ein biss­chen freund­li­cher als im Norden.

Nach etwa 45 Stun­den Zugs­rei­se beschlies­sen wir spon­tan, nicht bis nach Tiru­va­n­ant­ha­puram (Tri­v­an­drum) zu fah­ren, son­dern schon in Kochi (Cochin) bzw. Ern­a­ku­lam aus­zu­stei­gen. Es ist feucht und warm, und nach ein paar Schrit­ten kle­ben unse­re Klei­der schon am Kör­per. Die Ruck­sä­cke geben wir im Clo­a­kroom zur Auf­be­wah­rung, hier arbei­ten Frau­en, sie sind effi­zi­ent und freund­lich und wir­ken selbst­be­wusst. Erst jetzt wird mir rich­tig bewusst, dass wir in den ver­gan­ge­nen zwei Wochen prak­tisch kei­ne Frau­en in einer beruf­li­chen Funk­ti­on ange­trof­fen haben, weder in Hotels noch in Restau­rants noch in den Läden. Zu Fuss machen wir uns auf die Hotel­su­che und logie­ren schliess­lich im Saas Tower ange­nehm und güns­tig. Das Hotel ist nahe bei der Fäh­re nach Fort Kochi gele­gen. Ern­a­ku­lam ist eine leben­di­ge Stadt mit vie­len Läden (Stof­fe, Klei­der, Schu­he), die Atmo­sphä­re ist freund­lich und für uns unge­wöhn­lich ruhig, kei­ne «Hal­lo Hal­lo» Rufe bedrän­gen uns Bleich­ge­sich­ter. So macht es wirk­lich Spass, sich unge­stört in den Läden umzu­se­hen. Thö­mu kauft ein Paar Hosen und lässt sie sich von den net­ten Schnei­der­leu­ten gegen­über gleich kürzen.

Am Nach­mit­tag ste­he ich am Ticket­schal­ter in der Schlan­ge für die Ladies und kau­fe zwei Tickets à 2,5 Rupi­es für die Über­fahrt mit der Fäh­re nach Fort Kochi. Drei gwund­ri­ge und kichern­de Col­le­ge Girls stel­len uns unzäh­li­ge Fra­gen, wir lachen viel.
Auf der Insel eine ande­re Welt: kolo­nia­le Holz­häu­ser, rie­si­ge, mit Far­nen bewach­se­ne Bäu­me (rain trees), christ­li­che Kir­chen, die berühm­ten chi­ne­si­schen Fischer­net­ze am Was­ser. Tee­trin­ken und Gesprä­che über iPod und Kash­mir mit einem Tep­pich­händ­ler, der am Neben­tisch sei­nen Chai trinkt. Mit der Fäh­re fah­ren wir zurück an eine ande­re Anle­ge­stel­le in Ern­a­ku­lam, in der beleb­ten M.G. (Mahat­ma Gan­dhi) Road wol­len wir essen gehen. Das Restau­rant, das der Rei­se­füh­rer so ein­la­dend beschrie­ben hat, gibt es offen­bar nicht mehr. Wir essen des­halb in unse­rem Restau­rant gut und viel, lei­der gibt es kein Bier­chen dazu.

Der Tau­send­blu­men­tep­pich
Am nächs­ten Mor­gen fah­ren wir mit der frü­hen 06.20 Uhr Fäh­re wie­der auf die Insel und schau­en den Fischern zu, wie sie ihre rie­si­gen Net­ze zu viert aus dem Was­ser hie­ven und wie­der her­un­ter­las­sen. Der Fang ist nicht der Rede wert, nur ein paar klei­ne Schwänz­chen haben sich im Netz ver­fan­gen. Ein net­ter Riks­ha­fah­rer bie­tet eine Tour über die Insel an, inkl. Spi­ce Fac­to­ry und Ele­fan­ten­trai­nings­la­ger, wir ver­ab­re­den uns für den nächs­ten Tag. Dann besu­chen wir «unse­ren» Tep­pich­händ­ler vom Vor­tag in sei­nem Laden, ver­brin­gen Stun­den mit Betrach­tun­gen des Ange­bots, Ver­hand­lun­gen mit Tee und Ziga­ret­ten. Ein sei­de­ner Tep­pich lockt, wun­der­bar fein gear­bei­tet mit präch­ti­gem Blu­men­mus­ter und schö­nen Far­ben (obwohl wir von Anfang an gesagt haben, dass wir sicher kei­nen Tep­pich kau­fen wol­len…). Ste­fan aus Bern muss uns die Mas­se unse­res Glas­tisch­chens sim­sen, der Tep­pich wür­de per­fekt dar­un­ter pas­sen. Aber wir wol­len das Gan­ze noch­mals über­schla­fen, denn der Preis ist recht hoch.

Unter einem der gros­sen Rain­trees geneh­mi­gen wir uns einen «spe­cial tea» (Bier in einer Tee­kan­nen-Tar­nung), die Mücken­schwär­me las­sen sich durch die Räu­cher­schlan­gen unter dem Tisch nur teil­wei­se abhal­ten und ste­chen sogar durch die Hosen­bei­ne. A pro­pos Hosen: ich habe ein Paar zum Fli­cken und zum Kür­zen gege­ben, ich habe mir extra eine Schnei­de­rin (meist sind sonst die Män­ner als Schnei­der tätig) in einem ein­fa­chen klei­nen Tailor Ate­lier aus­ge­sucht. Als ich die Hosen abho­len gehe, ist ein Bein lei­der viel kür­zer als das ande­re. Ich bin immer noch zu höf­lich, um zu rekla­mie­ren und kor­ri­gie­re halt spä­ter das ande­re Bein ent­spre­chend mit Hil­fe mei­nes Mini-Rei­se-Näh­zeugs. Obwohl die Mon­sun­zeit noch nicht zu Ende ist und es ab und zu hef­tig reg­net, ist die­ser Hoch­was­ser-Look doch eher ungüns­tig. Über­haupt rächt es sich jetzt, Klei­der ein­ge­packt zu haben, um die es «nicht scha­de ist». So fal­len wir Bleich­ge­sich­ter noch mehr ab von den meist makel­los und schön geklei­de­ten Ein­hei­mi­schen. Zum Glück habe ich neben den aus­ge­lei­er­ten T‑Shirts noch die eine oder ande­re Blu­se mit­ge­nom­men, zusam­men mit einem Schal sieht dies doch eini­ger­mas­sen adrett aus.

Am Abend gibt es im Restau­rant Seagull zum Znacht den bis­her bes­ten Fisch: Red Snap­per im Bana­nen­blatt gegart, zitro­nig und mit fei­nen Aro­men, ein ande­rer Fisch in Kokos-Gewürz­sauce, dazu Reis — exzel­lent! Zur Vor­spei­se ein paar Tiger-Prawns in schar­fer Sau­ce. Das Gan­ze kos­tet für hie­si­ge Ver­hält­nis­se viel (ca. 45 Fr.-), ein Ver­mö­gen, denn sonst ist ja das Essen unglaub­lich bil­lig, ein Gericht ist für 30 und 60 Rupi­es zu haben (umge­rech­net 1–2 Fr.-).
Das Tep­pich­ge­schäft schlies­sen wir am nächs­ten Tag ab, nach vie­lem Stirn­run­zeln, neu­em Berech­nen, Dis­count-Abzü­gen sind schliess­lich alle hap­py, der Tep­pich gehört uns und wir nach Aus­sa­ge des Tep­pich­händ­lers ab sofort zur Fami­lie. Spä­ter bringt uns einer sei­ner Ange­stell­ten noch eine Packung des sehr fei­nen Tees vor­bei, den wir bei unse­ren Besu­chen in sei­nem Geschäft fast liter­wei­se getrun­ken haben. Er wird uns den Tep­pich per Fedex sen­den. Seit­her ist der Tau­send­blu­men­tep­pich die Zier­de unse­res Wohn­zim­mers, und den Tep­pich­händ­ler wer­den wir auf einer spä­te­ren Rei­se noch­mals besuchen.

Am nächs­ten Tag wol­len wir mit der Fäh­re nach Bolg­hat­ty, eine ande­re Insel, fah­ren. Bei der Able­ge­stel­le spricht uns Dr. Krish­na­mur­ti an und lädt uns zu einer Tem­pel­ze­re­mo­nie ein, die spä­ter statt­fin­den wird. Die Schwes­ter die­ses sehr bered­ten Brah­ma­nen arbei­tet zufäl­li­ger­wei­se (!) in Bern als Ärz­tin. Wir trau­en die­sem kar­mi­schen Zusam­men­tref­fen nicht so ganz und ver­mu­ten (zwi­schen­durch immer wie­der mal miss­trau­isch) eine Tou­ris­ten­fal­le. Dr. Krish­na­mur­ti will auf uns war­ten, bis wir von unse­rem Aus­flug von Bolg­hat­ty zurück­kom­men. Aber nach­dem wir die Insel mit ihrem her­un­ter­ge­kom­me­nen Golf­platz und den vie­len Pär­chen, die sich unter den Bäu­men näher kom­men als in Indi­en erlaubt ist, besucht haben, neh­men wir einen ande­ren Rück­weg und schlei­chen uns der Strand­pro­me­na­de ent­lang, immer auf der Hut vor dem auf­dring­li­chen Dr. Krish­na­mur­ti. In den nächs­ten Tagen besich­ti­gen wir Mat­tan­che­ry, die Syn­ago­ge, den Spi­ce Mar­ket, eine win­zi­ge Biblio­thek und haben über­all freund­li­che Begeg­nun­gen mit den Menschen.

Da es zwi­schen­durch immer wie­der mal hef­tig reg­net, ver­brin­gen wir auch viel Zeit im Hotel­zim­mer, schau­en Har­ry Pot­ter in 8 Minu­ten Abschnit­ten, unter­bro­chen jeweils mit exakt 4 Minu­ten Wer­bung für Gra­tis Den­tal Check­up von Col­ga­te und The Indian Den­tists Asso­cia­ti­on, Fer­tig­mahl­zei­ten und Corn­flakes. Die Men­schen in die­sen Wer­be­spots leben alle in mar­mor­nen, licht­durch­flu­te­ten rie­si­gen Vil­len, wie der typi­sche Inder eben so lebt …

Durch die Zei­tung (die in Indi­en in fast jedem Hotel am Mor­gen früh unter der Tür durch ins Zim­mer gescho­ben wird) erfah­ren wir wie­der etwas von der indi­schen Rea­li­tät: Am 25. Okto­ber hat es in Delhi einen Bom­ben­an­schlag gege­ben und in Andra Pra­desh ein gros­ses Zugs­un­glück, da der Regen die Schie­nen weg­ge­spült hat.

In den Backwaters

Auf Emp­feh­lung des freund­li­chen Kell­ners im Seagull buchen wir eine Back­wa­ter Tour beim nahe­ge­le­ge­nen Office, 24 Stun­den Boots­fahrt inklu­si­ve Mahl­zei­ten und Über­nach­ten für 3750 Rupi­es. Mit dem Bus fah­ren wir also am nächs­ten Mor­gen nach All­e­pey. Im Bus hat es hat spe­zi­el­le Plät­ze nur für Ladies, die Her­ren ste­hen gedrängt, so auch Thö­mu. Glück­li­cher­wei­se dau­ert die Fahrt nur eine Stun­de.
Beim Back­wa­ter Office erkennt uns der jun­ge Mann sofort als ange­mel­de­te Kun­den, vor allem wegen Thö­mus «unusu­al beard», der ihm offen­bar beschrie­ben wur­de. Mit der Auto­rik­s­ha geht’s durch grü­nes tro­pi­sches Land zur Boots­an­le­ge­stel­le, wo schon unser Traum­schiff steht. Wir bekom­men je eine Jas­min­ket­te umge­hängt und das Maha­ra­ni Fee­ling ver­stärkt sich noch, als ich rea­li­sie­re, dass wir einen Cap­tain und einen Koch für uns allein haben. Die Fahrt beginnt, wir leh­nen uns zurück und genies­sen. Das Leben der Men­schen spielt sich am Ufer des Was­sers ab, Koch­ge­schirr und Klei­der wer­den gewa­schen, gan­ze Schul­klas­sen spü­len ihre Essen­schüs­seln und win­ken uns zu, ande­re Haus­boo­te, Fischer, Reis­fel­der, Kokos­pal­men, schwim­men­de Gras- und Was­ser­hya­zin­then­in­seln. Eis­vö­gel, Kor­mo­ra­ne, Rei­her. Der Lunch ist wun­der­bar, Fisch mit Kabis- und Gur­ken­ge­mü­se, Reis, Pap­pa­dam und in Kokos­öl geba­cke­ne Ana­nas. Zwi­schen­durch darf Thö­mu auch mal ans Steu­er.
Bei Ein­bruch der Däm­me­rung legen wir an. Hun­der­te von Flug­hun­den im Abend­him­mel, Leucht­kä­fer­chen, Stim­men und Musik vom Ufer. Zum Nacht­es­sen gibt es Gin­ger-Huhn und schar­fen Dal, dazu wie­der Reis und Chap­pa­tis. «Medi­um spi­cy» ist für uns schon recht scharf, aber aus­ge­zeich­net. Und die­se Köst­lich­kei­ten berei­tet der jun­ge Koch auf einem ein­zi­gen Gas­ko­cher zu, alle Zuta­ten und Gerä­te befin­den sich auf kleins­tem Raum am Boden hin­ten im Boot. Wir schla­fen unter dem Mos­ki­to­netz im kom­for­ta­blen Bett und hören in der Nacht den Regen rau­schen. Am nächs­ten Mor­gen ist es wie­der schön, ein nord­in­di­sches Kanu­sport-Team trai­niert, vom Ufer die All­tags­ge­räu­sche von Men­schen und Tie­ren. Zum Zmor­ge gibt es die von Thö­mu heiss ersehn­ten Idlis, dazu schar­fe Söss­chen, Toast und Ana­nas. Die Fahrt zurück zum Aus­gangs­punkt der Boots­rei­se ver­geht dann all­zu schnell!
In All­e­pey ange­kom­men bezie­hen wir ein Zim­mer im Hotel Arca­dia und ver­brin­gen die Zeit der gröss­ten Hit­ze mit Lesen, Waschen und Sudo­ku Lösen. Spä­ter zie­hen wir los Rich­tung Indian Cof­fee House. Ent­lang eines Kanals ent­steht offen­bar ein Ver­schö­ne­rungs­pro­jekt, vie­le Män­ner und Frau­en schlep­pen Stei­ne und Sand. An alten Holz­häu­sern vor­bei kom­men wir zum Strand, wo sich bei ange­neh­mem Wind und jetzt bedeck­tem Him­mel vie­le Inder tum­meln. Es ist Diwa­li und des­halb Fei­er­tag. Das Indian Cof­fee House liegt direkt am Strand, bei unheim­lich dunk­lem Him­mel trin­ken wir einen süs­sen, mil­chi­gen Kaffee.

Am nächs­ten Tag machen wir einen Tagestrip auf dem Was­ser nach Koll­am mit einem «nor­ma­len» Schiff. Auf dem zum Glück beschat­te­ten Ober­deck genies­sen wir die lan­ge Fahrt (von 10.30 bis 18.30) durch gros­se und klei­ne Kanä­le mit einem Essens­halt auf einer Insel. Der Lunch wird auf dem Bana­nen­blatt und ohne Besteck ser­viert, die Kell­ner dre­hen mit gros­sen Kes­seln ihre Run­den und klat­schen gross­zü­gig wei­te­res Dal, Gemü­se oder Reis auf das Blatt. Roti gibt es im Süden nicht, und Reis mit flüs­si­gen Bei­la­gen mit den Fin­gern zu essen ist gar nicht so ein­fach. Und mit der (rech­ten) Hand alle Zuta­ten lust­voll zusam­men­zu­kne­ten wie die Inder kos­tet für mich Über­win­dung, jah­re­lan­ge Gewohn­hei­ten und «mit dem Essen spielt man nicht» wir­ken nach. Ist die­se Hür­de aber ein­mal geschafft, macht Essen wirk­lich Freu­de. Das anschlies­sen­de Hän­de­wa­schen, sei es auch nur mit einem Becher Was­ser, mit dem die Fin­ger über dem lee­ren Tel­ler abge­spült wer­den, ist unverzichtbar.

Der Rei­se­be­glei­ter auf dem Schiff erkun­digt sich, ob wir schon ein Hotel hät­ten für die Nacht, sonst wür­de er uns eine Über­nach­tung reser­vie­ren in einem Resort auf einer Insel, eine spe­cial offer natür­lich zur Hälf­te des regu­lä­ren Prei­ses. Und schon ist die Buchung gemacht, das Schiff legt bei der nächs­ten Insel spe­zi­ell für uns an und wir gehen als ein­zi­ge Pas­sa­gie­re von Bord. Wir sind auch die ein­zi­gen Gäs­te im Hotel und neh­men das Nacht­es­sen auf der Veran­da ein mit Blick auf das Was­ser. Die Tou­ris­ten­sai­son mit ihren Char­ter­gäs­ten fängt erst spä­ter an, und wir genies­sen die Ruhe, die Geräu­sche der Gril­len und der Nacht.

 

Varka­la
Am nächs­ten Mor­gen neh­men wir die Fäh­re nach Koll­am und von dort den Zug für die kur­ze Stre­cke nach Varka­la. Das Hotel Sea Bree­ze ist ganz am Ende des Ortes gele­gen, mit Blick auf Kokos­pal­men und aufs Meer (Jah­re spä­ter ist die Sicht gar nicht mehr berau­schend, die Bara­cken einer Shrimp Farm mit unschö­nen Blech­dä­chern ver­de­cken die Sicht aufs Meer).
Doch noch sind es die Kokos­pal­men, die lei­se rau­schen und nicht der Gene­ra­tor der Shrimp Farm. Am Abend klet­tert ein Mann zum Ern­ten der Kokos­nüs­se den Stamm hin­auf in luf­ti­ge Höhe, ein Seil, mit dem er die Füs­se zusam­men­ge­bun­den hat, dient als Klet­ter­hil­fe. Neben­an gibt es das bezau­bern­de Restau­rant Coco­nut Gro­ve, am Abend bren­nen jeweils vie­len Ker­zen in mit Sand gefüll­ten Per­ga­ment­pa­pier-Säck­lein. Ein Tan­doo­ri-Ofen wird im Frei­en gebaut.
Der Klip­pen­weg zum Tem­pel ist gesäumt mit klei­nen Läden und Restau­rants, Klei­der, Schmuck, Ayur­ve­dic Mas­sa­ge wech­selt sich ab mit Sun­ny Art Cafe und Ger­man Bak­e­ry. Alles aber noch ganz ent­spannt und sym­pa­thisch und kein Hotel­klotz weit und breit. Um den Tem­pel her­um ist die Atmo­sphä­re dann wie­der indi­scher, wir sehen eine weib­li­che Sad­d­hu, eine Sel­ten­heit. Spä­ter das ers­te Meer­bad am klei­nen Sand­strand in der Nähe des Hotels, das Was­ser ist lau­warm, die Wel­len aber recht hoch und es gibt eine gefähr­li­che Strö­mung. Wer sich zu weit hin­aus wagt, spürt den star­ken Sog ins offe­ne Meer, und nicht ver­ge­bens sitzt ein Bade­meis­ter am Ufer und ruft mit sei­ner schril­len Pfei­fe die unvor­sich­ti­gen Schwim­mer zurück. Nach­dem die Son­ne weit über dem Hori­zont in einem Dunst­schlei­er ver­schwun­den ist, wird es rasch dun­kel, und end­lich kann ich mei­ne Taschen­lam­pe brau­chen, um über den unbe­leuch­te­ten Klip­pen­weg das erst­bes­te Restau­rant anzu­steu­ern. Wir sit­zen sehr roman­tisch auf einer klei­nen Ter­ras­se über dem Meer mit Ker­zen­be­leuch­tung und Wellenrauschen.

Am Mor­gen wer­den wir früh geweckt durch den (Sprech)gesang des Muez­zin von der nahen Moschee im Pal­men­hain. Es hat Wol­ken, ab und zu gibt es ein Gewit­ter und das Rau­schen des Regens ver­mischt sich mit dem der Wel­len. Hin­ter der Moschee führt ein Wege dem Meer ent­lang an ein paar Fischer­hüt­ten vor­bei an einen wun­der­ba­ren lan­gen weis­sen Sand­strand, eine Art Düne. Auf einer Sei­te das Meer, auf der ande­ren ein See. Es ist so erhol­sam! Doch ich freue mich auch schon wie­der auf «Indi­en» mit sei­nem Tru­bel, sei­nem Lärm, sei­nen Gerü­chen…
Wir buchen in einem klei­nen Rei­se­bü­ro einen Flug von Ban­ga­lo­re nach Vara­na­si und von dort Zug­ti­ckets im Slee­per nach Delhi. Da wir die Halb­zeit unse­rer Rei­se bereits hin­ter uns haben, ent­schlies­sen wir uns für eine ver­meint­lich zeit­spa­ren­de Rei­se mit dem Flug­zeug.
Doch vor­läu­fig ver­brin­gen wir die Tage noch geruh­sam, schau­en am frü­hen Mor­gen den Fischern zu, wie sie mit viel Auf­wand und Per­so­nal rie­si­ge Net­ze ein­ho­len, in denen sich nur ein paar klei­ne Fisch­chen ver­fan­gen haben. Am Abend zum Fei­er­abend-Bier­chen sind wir immer die ein­zi­gen Gäs­te im Coco­nut Gro­ve. Zwi­schen­durch immer wie­der hef­ti­ge Gewit­ter, Zeit zum Lesen, da kommt der klei­ne Shop mit sei­nem Bücher­tausch-Ange­bot wie geru­fen. Ein­mal ein Espres­so und ein Brow­nie in der Ger­man Bak­e­ry, Bha­rat kahan hai?

An einem frü­hen Mor­gen dann die letz­ten Spie­gel­eier und Toasts im Coco­nut Gro­ve und schon bringt uns die Auto­rik­s­ha zum Bahn­hof, wo wir den Zug nach Kot­ta­yam neh­men. Es wird eine kurz­wei­li­ge Fahrt mit Gesprä­chen und viel Geläch­ter, wir tref­fen Lei­la Samu­el aus Ern­a­ku­lam mit ihrer Schwes­ter und ihrem Cou­sin. Sie spricht sehr gut Eng­lisch und wir kön­nen vie­le Fra­gen stel­len, vor allem erhal­ten jetzt alle die unbe­kann­ten Bäu­me und Gewäch­se auf den Fel­dern einen Namen. Wir tau­schen Adres­sen und als wir aus­stei­gen, win­ken alle und wir fah­ren beschwingt wei­ter mit der Rik­scha zum Bus­bahn­hof und erwi­schen gera­de einen Bus nach Kumily.

 

Im Pfef­fer­land
Die vie­len Kur­ven und die sport­li­che Fahr­wei­se blei­ben nicht ohne Wir­kung, es wird mir ziem­lich blü­merant, und nur mit viel Wil­lens­stär­ke und Durch­at­men kann ich das Plas­tik­säck­li nach einer gewis­sen Zeit wie­der weg­le­gen und die Fahrt durch das üppi­ge Grün in vol­len Zügen genies­sen. Die Stras­se win­det sich empor, Kaf­fee, Kau­tschuk-Bäu­me, spä­ter Tee­plan­ta­gen in akku­ra­tem Schnitt. Immer wie­der ein Schling­ge­wächs, Vanil­le kann es nicht sein, des­halb neh­me ich an, dass es sich um Kar­da­mom han­delt — so falsch! Es ist näm­lich Pfef­fer, wie wir spä­ter erfah­ren wer­den, wir sind hier im Land, wo der Pfef­fer wächst. Kar­da­mom sieht ganz anders aus, auch die­se Pflan­ze wer­den wir noch ken­nen lernen.

Bei unse­rer Ankunft in Kumi­ly bzw. Peri­yar wer­den wir von einem net­ten jun­gen Mann ange­spro­chen, der uns zu einer Unter­kunft brin­gen will. Wir haben inzwi­schen gelernt, nichts zu über­stür­zen, zuerst mal einen Chai zu trin­ken und erst dann zu ent­schei­den. Die­ser jun­ge Mann ist aber sym­pa­thisch und nicht auf­dring­lich, also gehen wir mit ihm zum Green View Homes­tay. Inzwi­schen sind die bes­se­ren Zim­mer schon belegt durch nord­in­di­sche Tou­ris­ten, die ihre Diwa­li Feri­en hier ver­brin­gen. Für uns hat es noch ein ein­fa­ches Zim­mer, sehr sau­ber und ange­nehm für sage und schrei­be 200 Rupi­es pro Nacht. Das Bade­zim­mer ist aus­ser­halb in einer Art Veran­da, es wird aber nur von uns benutzt. Was wol­len wir mehr!
In Babus klei­nem Rei­se­bü­ro buchen wir dann noch eine Spi­ce Tour für den nächs­ten Tag (Kar­da­mom! Pfef­fer!) und eine Boat Tour im Natur­schutz­ge­biet für den über­nächs­ten. Am Abend esse ich das ers­te und ein­zi­ge Mal auf allen unse­ren Indi­en­rei­sen Nudeln — das recht auf­dring­li­che Kokos­öl gnüe­ge­let mir schon nach ein paar Bis­sen. Spa­ghet­ti in Indi­en ist defi­ni­tiv kei­ne gute Wahl!

Auf die Spi­ce Tour gehen wir mit einem ande­ren Schwei­zer Paar, die wir am Mor­gen in Chrissie’s Restau­rant tref­fen, wo sie Mües­li essen — auch die­se kuli­na­ri­sche Erfah­rung haben wir in Indi­en nie gemacht, und ich habe auch nicht im Sinn, dies nach­zu­ho­len. Es gibt schliess­lich Dosas, Parathas, Puris, Idlis… Das indi­sche Zmor­ge ist mir noch nie ver­lei­det! Die bei­den Mües­lis sind jedoch sehr nett und die gan­ze Tour, die wir mit dem Jeep mache, ein High­light. Tho­mas kann mit sei­nem Wis­sen über Kaf­fee bril­lie­ren (Ara­bi­ca, Robus­ta — er hat schliess­lich sei­ner­zeit im Welt­la­den Kaf­fee­de­gus­ta­tio­nen gemacht und weiss viel über Anbau und Ver­ar­bei­tung). Die­ser indi­sche Kaf­fee wird es wahr­schein­lich nie in unse­re Läden schaf­fen, und die Qua­li­tät kann ich nicht beur­tei­len. Der süs­se mil­chi­ge heis­se Cophee im Indian Cof­fee House ist nicht unbe­dingt das, was bei uns, wo die Bar­ris­tas plötz­lich so ange­sagt sind, unter Kaf­fee ver­stan­den wird. In der win­zi­gen Kaf­fee­rös­te­rei kau­fen wir trotz­dem ein Pfund Boh­nen­kaf­fee.
Wir besu­chen dann einen klei­nen Fami­li­en­be­trieb, der bio­lo­gisch wirt­schaf­tet und sehen hier die schilf­ar­ti­gen, gros­sen Kar­da­mo­m­pflan­zen. Die Kar­da­mo­m­kap­seln wach­sen erstaun­li­cher­wei­se an einer Art Rhi­zom knapp über dem Boden. Wir sehen, wie sie nach der Ern­te in einer Trock­nungs­an­la­ge auf Git­ter­schub­la­den über dem Holz­feu­er getrock­net (gerös­tet?) wer­den. Um das Wohn­haus eine viel­fäl­ti­ge Pflan­zen­welt, «Insu­lin­pflan­ze», Edel­rau­te, Jack­f­ruit, Pfef­fer, Kakao, Gin­ger, Kur­ku­ma — das Licht unter den hohen schat­ti­gen Bäu­men ist gebro­chen, die Stim­mung geheim­nis­voll. Spä­ter erfah­ren wir im Con­ne­ma­ra Tea Gar­den alles über den Tee, von der Ern­te über die Fer­men­ta­ti­on, das Hacken, das Trock­nen über der Hit­ze, das Aus­sie­ben der ver­schie­de­nen Qua­li­tä­ten (die ver­schie­de­nen Flushs).
Als letz­tes noch der Ayur­ve­dic Gar­den, bei der Füh­rung mit dem Kräu­ter­dok­tor kom­me ich voll auf mei­ne Rech­nung: so vie­le unbe­kann­te Heil­pflan­zen, aus­ser­dem «show plants» wie Dah­li­en und Zin­ni­en. Ich könn­te stun­den­lang den Erklä­run­gen des Dok­tors lau­schen. In sei­ner skur­ril ein­ge­rich­te­ten Pra­xis mit den vie­len geheim­nis­vol­len Schäl­chen, den Bar­bie­pup­pen und dem Plas­tik­tan­nen­baum wird uns noch ein bit­te­rer Trunk ser­viert: «good for your health». Die­se Spi­ce Tour hat sich wirk­lich gelohnt! Leicht gerö­tet von der Son­ne (wir waren den gan­zen Tag im offe­nen Jeep unter­wegs) und sehr hung­rig ver­drü­cken wir am Abend reich­lich Vege­ta­ble und Chi­cken Biryani.

Am nächs­ten Tag müs­sen wir früh aus dem Bett, der Rik­scha­fah­rer holt uns schon um 6.15 ab (unse­re «gui­des» sind schon um 4.00 ange­stan­den, um Boots­bil­let­te für uns zu besor­gen). Die Boo­te sind denn auch ent­spre­chend voll, vie­le lau­te indi­sche Fami­li­en, die für uns fast die inter­es­san­te­ren Stu­di­en­ob­jek­te sind als die spär­lich ver­tre­te­ne Tier­welt am Ufer des Stau­sees. Immer­hin sehen wir Wild­schwei­ne, Hir­sche, Eis­vö­gel, Rei­her und Kor­mo­ra­ne. Weit und breit kein Ele­fant, aber bei dem fröh­li­chen Lärm, der über den glat­ten See und die Dunst­schlei­er dringt, zei­gen sich wohl kei­ne scheu­en Wild­tie­re. Die Boots­fahrt ist trotz­dem schön, das Licht, die Nebel­schwa­den, die Son­ne, die abge­stor­be­nen Bäu­me im stil­len Was­ser.
In einem ein­fa­chen Beiz­li mit Holz­feu­er gibt es spä­ter für Thö­mu end­lich die ersehn­ten Idlis und für mich eine Dosa, die der Dosa­wal­lah geschickt auf der Stein­plat­te über dem Feu­er macht. Nach einem Tele­fon nach Kannur, wo wir eigent­lich ein Spi­ce Pro­jekt besu­chen woll­ten ist klar, dass wir unser Pro­gramm umstel­len müs­sen, denn die Masa­la Pro­duk­ti­on beginnt erst im Janu­ar. Scha­de, denn ger­ne hät­ten wir gese­hen, wo und wie die Gewürz­mi­schun­gen pro­du­ziert wer­den, die im Welt­la­den ver­kauft wer­den. Also pla­nen wir um: Madu­rai in Tamil Nadu heisst das nächs­te Ziel. Vor­her brin­gen wir noch unse­re Ein­käu­fe zum Schnei­der, der unse­re Gewürz­päck­li in Stoff ein­näht, so kann es sicher nach Hau­se gesen­det werden.

 

Sri-Minak­shi-Sunda­reshwa­ra
Der Bus fährt ennet der Gren­ze in Tamil Nadu ab, vie­le hilfs­be­rei­te Geis­ter wei­sen uns den Weg. Zum Glück sind wir früh dran, denn der Bus wird zuneh­mend voll. Vie­le Kur­ven berg­ab, dann wird die Land­schaft flach, es tau­chen wie­der Reis­fel­der auf, Kokos­pal­men und Bana­nen­stau­den. Die Dör­fer sind sehr belebt, es hat vie­le Tem­pel und Blu­men­gir­lan­den, alles scheint aber ärm­li­cher als in Kerala.

In Madu­rai ist es heiss und stau­big, nach einem Chai bringt uns eine Rik­s­ha ins Sree Devi Hotel, wo wir das obers­te Zim­mer mit Dach­ter­ras­se und gross­ar­ti­gem Blick auf die Gopurams des Meen­ak­shi Tem­pels bezie­hen. Die­se Tem­pel­tür­me sind reich ver­ziert, um nicht zu sagen über­be­völ­kert: phan­tas­ti­sche Figu­ren, Säu­len und Frie­se, Orna­men­te und Fabel­we­sen in hell­blau, hell­grün, oran­ge und gelb. Vom frü­hen Mor­gen­licht bis zur Däm­me­rung sehen wir die Gopurams in den nächs­ten Tag, Licht und Schat­ten las­sen immer neue Details her­vor­tre­ten und beleuch­tet sind sie in der Nacht beson­ders geheim­nis­voll. Den ers­ten Abend ver­brin­gen wir auf unse­rer Dach­ter­ras­se mit einem net­ten Eng­län­der, trin­ken ein King­fi­sher und las­sen uns ver­zau­bern von den schwe­ben­den Gesän­gen aus dem Tem­pel und den strah­len­den Tür­men. Das Nacht­es­sen, das uns vom Hotel ser­viert wird, ist nicht so berau­schend wie die Aus­sicht, fader Reis und Ketch­up im Beu­tel(!). Auf die «spe­cial ciga­ret­tes», die uns das eigen­ar­ti­ge Hotel­fak­to­tum andre­hen will, ver­zich­ten wir lie­ber.
Dafür gibt’s im Modern Restau­rant am nächs­ten Tag fei­ne Masa­la Dosa zum Zmor­ge. Wir sind früh auf, Thö­mu lässt sich die Haa­re schnei­den und ist anschlies­send nicht wie­der zu erken­nen: glatt­haa­rig und geschei­telt! Offen­bar wur­de ihm der «Ger­man cut» ver­passt, einer der ange­bo­te­nen Haar­schnit­te, die zur Illus­tra­ti­on auf dem rei­zen­den hand­ge­mal­ten Pla­kat die Män­ner­köp­fe schmücken.

Im wun­der­ba­ren Meen­ak­shi Tem­pel vebrin­gen wir Stun­den, am Teich mit dem gol­de­nen Lotus spre­chen wir mit net­ten jun­gen Indern und tau­schen Adres­sen. Das leb­haf­te Gesche­hen im Tem­pel ist für uns eher ver­wir­rend, aber fas­zi­niert sehen wir den Men­schen zu, wie sie ihre Hand­lun­gen ver­rich­ten, «Idols» umkrei­sen (ein Tem­pel­chen ist den Pla­ne­ten gewid­met, ich ent­de­cke Son­ne, Mond, Mars und Saturn), sich vom Tem­pel­ele­fan­ten seg­nen las­sen. Die geschäf­ti­ge Atmo­sphä­re hat so gar nichts Abge­ho­be­nes, die Ritua­le schei­nen ver­traut und all­täg­lich für die Tem­pel­be­su­cher. Und wir Frem­de sind stau­nend mit­ten­drin und wer­den über­haupt nicht beach­tet.
Spä­ter besu­chen wir das Gan­dhi Muse­um im moder­nen Teil von Madu­rai, die ein­drück­li­che Aus­stel­lung zeigt in Bil­dern und Tex­ten die Geschich­te der Unab­hän­gig­keit Indiens.

Nach all den Ein­drü­cken ist unse­re Dach­ter­ras­se Gold wert, der Blick auf die Tür­me immer wie­der anders im Licht, dazu das mono­to­ne Sin­gen aus dem Tem­pel, das Häm­mern und Hupen gedämpft, Jas­min- und Kuh­fla­den­ge­rü­che und Schwal­ben in der Luft. Spä­ter las­se ich mich von einem der vie­len Schnei­der in sein Ate­lier füh­ren , «just loo­king» natür­lich bleibt es nicht dabei. Ich gebe einen Näh­auf­trag für einen lan­gen oran­gen Jupe aus Roh­sei­de und eine leuch­tend grü­ne Blu­se, die ich bereits am nächs­ten Tag abho­len kann (und lei­der zu Hau­se nie tra­gen wer­de …) Dann ent­schei­de ich mich im Schmuck­ge­schäft, in das wir am Vor­tag gelockt wor­den sind (bes­te Sicht auf den Tem­pel vom Dach aus!) für den teu­ren Dia­mant­ring, den ich zuerst gar nicht will, da er mir viel zu pom­pös erscheint. Ist er aber eigent­lich gar nicht, die­sen Kauf habe ich nie bereut, und ich tra­ge den Ring seit­her stän­dig.
So viel Kau­fen macht hung­rig, wir essen Gemü­se­cur­ry und Reis auf einem net­ten Roof­top. Spä­ter lau­fen wir zu Fuss zum Thir­uma­lai Nayak Palace, sit­zen im Schat­ten der etwas her­un­ter­ge­kom­me­nen Pracht, gur­ren­de Tau­ben über­all. Ein ehe­ma­li­ger Prachts­saal ist als Muse­um ein­ge­rich­tet. Am Abend fin­det hier eine Sound and Light Show statt, die wahr­schein­lich die prunk­vol­len alten Zei­ten auf­le­ben lässt. Da wir aber wei­ter­rei­sen wer­den, reicht die Zeit für die­ses Spek­ta­kel nicht.
Dafür besu­chen wir noch ein letz­tes Mal den Meen­ak­shi Tem­pel und auch das Muse­um mit vie­len vie­len Säu­len und Göt­ter­sta­tu­en im schumm­ri­gen Licht. Nach einem Znacht auf dem Roof­top Restau­rant stei­gen wir in den 22.50 Zug nach Coim­ba­to­re. Es reg­net stark und ich schla­fe herr­lich auf der obers­ten Lie­ge im 3‑Tiers.
Um 4.45 kom­men wir in Coim­ba­to­re an, es reicht gera­de für den Anschluss an den Nil­gi­ri-Express (und dies auch nur dank einem net­ten Offi­cer, der Thö­mu aus der lan­gen Schlan­ge vor dem Män­ner-WC erlöst und auf die Damen­sei­te geschickt hat). Wir wuss­ten nicht, dass die Zeit so knapp ist, aber wie so oft in Indi­en lässt uns der gehei­me Regis­seur unse­rer ganz per­sön­li­chen «Tru­man Show» nicht im Stich und schickt einen Helfer…

Nil­gi­ri Moun­tains
Wir rei­sen wei­ter in der Holz­klas­se, die Mor­gen­däm­me­rung kommt schnell, draus­sen viel Grün und ange­nehm kühl. In Met­tu­pa­la­yam war­tet schon der Hog­warth Express bzw. der Blue Moun­tain Nil­gi­ri Pas­sen­ger Express mit Dampf­lok und his­to­ri­schen Wag­gons. Wir rei­sen mit einer net­ten Fami­lie aus Chan­di­garh im ers­ten Abteil vor der Lok, die den Zug stösst. Im Tun­nel, von denen es vie­le hat, müs­sen wir jeweils schnell die Fens­ter­schei­ben hoch­kur­beln, da sich sonst das Abteil im Nu mit beis­sen­dem Rauch und fun­ken­stie­ben­der Hit­ze füllt. Die Stre­cke führt über Brü­cken und durch Tun­nels, draus­sen Jung­le und Was­ser­fäl­le, Tee­gär­ten, Oran­gen­bäu­me und Gemü­se­ter­ras­sen. Es wird immer küh­ler, der Zug win­det sich berg­wärts, das ers­te Mal wer­den Pul­li und Jacken aus­ge­packt in Indien!

In Ooty reg­net es, und zum Glück hat es im Hotel 3 Woll­de­cken pro Bett, denn jetzt ist es rich­tig kalt. Die Inder mit Müt­zen und Hals­tü­chern sind ein unge­wohn­ter Anblick. Wir spa­zie­ren zum See und ein biss­chen durch den Ort, aber vor­läu­fig erschliesst sich mir der Reiz die­ser Hill Sta­ti­on noch nicht ganz. Obwohl die Land­schaft schön ist, könn­te es auch Adel­bo­den oder so an einem reg­ne­ri­schen Tag sein. Aus­ser­dem bin ich hun­de­mü­de und habe wahr­schein­lich einen kur­zen Fie­ber­schub. Dank Dafal­gan und kur­zer Bett­ru­he geht es mir jedoch erstaun­lich schnell wie­der bes­ser, und die Nudeln im chi­ne­si­schen Restau­rant sind als Abwechs­lung genau das Rich­ti­ge. Dazu ste­hen sehr unauf­fäl­lig in Papier ver­pack­te Bier­fla­schen auf dem Tisch, damit wir heim­lich und ein biss­chen ver­schämt unse­rer Sucht frö­nen kön­nen.
Es reg­net noch immer, und end­lich kom­men die Regen­ja­cken zum Ein­satz — wir haben sie doch nicht ver­ge­bens mit­ge­schleppt. Auch die Strumpf­ho­sen, die ich in der Som­mer­hit­ze mit Grau­sen betrach­tet habe, sind will­kom­men, aus­ser­dem auch alle ver­füg­ba­ren Jacken und Pull­over. Es ist wahr­schein­lich gar nicht so kalt, aber wir sind uns die­se Tem­pe­ra­tu­ren nicht mehr gewöhnt. Dafür ist der Schlaf gut und lang, und am nächs­ten Mor­gen scheint die Son­ne und die Luft ist klar und frisch. Fei­ne Dosas und Idlis zum Zmor­ge und dann in den weit­läu­fi­gen bota­ni­schen Gar­ten. Er könn­te auch in Eng­land sein mit dem Cot­ta­ge und den gepfleg­ten Anla­gen.
Spä­ter gehen wir auf die Pfer­de­renn­bahn, sit­zen auf der spär­lich besetz­ten Tri­bü­ne, hören dem auf­ge­reg­ten Kom­men­ta­tor zu und war­ten auf die Pfer­de. Erst nach und nach wird uns klar, dass hier gar kei­ne Pfer­de lau­fen wer­den, die Stim­me und die Anfeue­rungs­ru­fe der Zuschau­er kom­men aus einem der Fern­seh­ge­rä­te, die die Direkt­über­tra­gung der Ren­nen aus Hyder­abad und Ban­ga­lo­re zei­gen! Gewet­tet wird aber trotz­dem und wir schau­en lan­ge dem inter­es­san­ten Trei­ben zu.
Zum Cafe Lat­te gibt es Brow­nies, über­all wird auch Home­ma­de Cho­co­la­te ange­bo­ten. Selt­sam: wochen­lang haben wir Süs­sig­kei­ten über­haupt nicht ver­misst, aber jetzt haben wir dau­ernd Gluscht nach Scho­ko­la­de und kön­nen dem Ange­bot nicht wider­ste­hen.
Im gröss­ten Rosen­park Indi­ens ist von der Schön­heit die­ser Blu­men nicht viel zu sehen, die Näs­se und Käl­te scheint den Rosen nicht zu gefal­len. Für die indi­schen Tou­ris­ten sind wir unan­sehn­li­che West­ler offen­bar das attrak­ti­ve­re Foto­mo­tiv als die Bota­nik, von über­all wer­den wir her­bei­ge­winkt und müs­sen uns in unzäh­li­gen Kom­bi­na­tio­nen mit Fami­li­en­mit­glie­dern auf­stel­len und foto­gra­fie­ren las­sen. Zuerst ist es noch ganz lus­tig, aber mit der Zeit pla­nen wir unse­re Schrit­te in der weit­läu­fi­gen Anla­ge sorg­fäl­tig, um den vie­len Foto­fal­len zu ent­ge­hen. Alles blüht gleich­zei­tig: Rosen, Holun­der­bü­sche, Kame­li­en und Dah­li­en. Es reg­net jetzt nicht mehr und Ooty bie­tet schö­ne Aus­bli­cke auf die umlie­gen­den Hügel.

 

Kuch Kuch Hota Hai
Am Mor­gen scheint wie­der die Son­ne und der Regis­seur unse­rer ganz pri­va­ten Tru­man Show hat offen­bar die Absicht, noch­mals das per­fek­te Dreh­buch umzu­set­zen. Nach den fei­nen Idlis im hotel­ei­ge­nen Restau­rant bege­ben wir uns zur Bus Sta­ti­on, wo gera­de ein luxu­riö­ses Gefährt mit Ziel Ban­ga­lo­re vor­fährt. Wir stei­gen ein und nach ein paar Minu­ten fah­ren wir mit weni­gen ande­ren Rei­sen­den los, durch ter­ras­sier­tes Berg­land und dann durch ein Natur­schutz­ge­biet. Trotz lau­tem Video (schliess­lich ist es ein Delu­xe Bus) ist die Fahrt wun­der­schön, ich sich­te sogar zwei Ele­fan­ten und ein paar Pfau­en. Spä­ter wird die Land­schaft wie­der flach, Reis­fel­der, Zucker­rohr und Kokos­pal­men. Als ich mich draus­sen satt gese­hen habe, las­se ich mich wider­wil­lig auf den zwei­ten Bol­ly­wood Film ein, der inzwi­schen im Bus­ki­no läuft. Trotz feh­len­der Unter­ti­tel bin ich schliess­lich ganz gebannt und bedau­re, dass wir nach 4 Stun­den Fahrt in Mys­o­re aus­stei­gen müs­sen und ich das Ende ver­pas­se. Der Klas­si­ker, seit­her unzäh­li­ge Male gese­hen: KKHH (oder für Anfän­ger wie mich damals: Kuch Kuch Hota Hai). Kaum zu glau­ben, dass es ein­mal ein Leben ohne Hin­di Fil­me gab…!
Mit der Rik­s­ha fah­ren wir zum guten Hotel Bom­bay Tif­fa­ny und machen uns dann zu Fuss auf Ent­de­ckungs­rei­se. Mys­o­re ist eine leben­di­ge Stadt, trotz­dem ange­nehm ruhig mit sehr schö­nen Alle­en und einem far­ben­präch­ti­gen Markt. Dort kau­fen wir bei zwei Brü­dern, die sogar etwas deutsch spre­chen, ein gan­zes Schatz­käst­chen mit Duf­tölen und erhal­ten dazu noch selbst­ge­roll­te Räu­cher­stäb­chen. Zum Znacht wie­der auf einem Roof­top, fei­nes Alu Palak, Chi­cken Tik­ka, Reis und Raita.

Am nächs­ten Mor­gen früh auf und durch die Mor­gen­fri­sche und ruhi­ge Stras­sen zum Palast, wo wir die Ele­fan­ten baden sehen. Spä­ter zusam­men mit vie­len indi­schen Tou­ris­ten und Schul­klas­sen durch die Palast­an­la­gen, manch­mal schei­nen wir uns in Thea­ter­ku­lis­sen zu bewe­gen, vor allem die dicken tür­kis­far­be­nen Säu­len erin­nern mich irgend­wie an den Spie­gel­saal in Luzern. Nach einer Sies­ta im Hotel und Anste­hen bzw. ‑sit­zen für die Tickets nach Ban­ga­lo­re essen wir im Park­la­ne Hotel mit Live Musik und vie­len Grün­pflan­zen. Son­nen­strah­len schei­nen am nächs­ten Mor­gen ins Hotel­zim­mer, unter­wegs zum Bus­stand essen wir in einer klei­nen Dha­ba Dosas und Idlis zum Zmor­ge.
Da es kei­ne guten Bus­ver­bin­dun­gen zum Keshwa­ra Tem­pel in Som­nath­pur gibt, orga­ni­siert uns der net­te geschäfts­tüch­ti­ge Riks­ha­fah­rer, der uns bereits am Mon­tag zum Hotel gefah­ren hat, ein Taxi. Die Land­schaft ist para­die­sisch, mit blü­hen­den Zucker­rohr­fel­dern, Kokos­pal­men, inten­siv grü­nen Rei­s­pad­dies, dazwi­schen Flüs­se und Seen mit Lotos­blu­men, klei­ne Dör­fer, Och­sen­ge­span­ne. Der Tem­pel mit dem stern­för­mi­gen Grund­riss ist ein High­light. Unzäh­li­ge Figür­chen, Ele­fan­ten und sogar Bana­nen­blü­ten aus Stein, Vish­nu in ver­schie­de­nen Erschei­nungs­for­men (Ava­tare). Immer noch muss ich die 9 bzw. 10 Ava­tare nach­schla­gen, dabei ist es gar nicht so schwie­rig, sich die Rei­hen­fol­ge zu mer­ken, teil­wei­se ent­spricht sie (am Anfang jeden­falls) der Evo­lu­ti­on des Lebens: Vish­nu als Fisch, als Schild­rö­te, als Eber, als Löwen­mensch, als Rama mit der Axt, als Rama, König von Ayodha, als Krish­na, als Bud­dha und schliess­lich als die kom­men­de 10. Inkar­na­ti­on Kal­ki .
Wei­ter nach Sriran­ga­pat­na, der dor­ti­ge Tem­pel ist eher düs­ter und die dick­li­chen Brah­ma­nen­pries­ter recht arro­gant. Die Vish­nu Sta­tue ist inter­es­sant, da sie liegt, und zwar auf der zusam­men­ge­roll­ten Schlan­ge. Spä­ter der Som­mer­pa­last von Tipu Sul­tan in der sym­me­tri­schen Gar­ten­an­la­ge mit schat­ten­spen­den­den Bäu­men, der Pavil­lon wirkt luf­tig und hei­ter. Der Taxi­fah­rer bringt uns noch zu einem der vie­len Läden, die San­dal­wood in allen For­men und Aggre­gats­zu­stän­den anbie­ten, wir kau­fen einen klei­nen Gane­sha aus dem fein duf­ten­den Holz.
Den letz­ten Tag in Mys­o­re ver­brin­gen geruh­sam mit Imbiss in einem Roof­top, beob­ach­ten das leben­di­ge Trei­ben auf den Stras­sen und, nach­dem wir ein schat­ti­ges Plätz­chen in einem Park gefun­den haben, auch die kom­pli­zier­ten Ritua­le des Waschens, Mund­spü­lens und Aus­spu­ckens an den öffent­li­chen Brunnen.

Im vor­neh­men gekühl­ten 2‑Tier Abteil geht es dann nach Ban­ga­lo­re, wo uns ein rasen­der Riks­ha­fah­rer zum Flug­ha­fen bringt, denn wir wol­len aus­nahms­wei­se per Flug­zeug wei­ter­rei­sen, um die ver­blei­ben­de Zeit in Indi­en opti­mal aus­zu­nüt­zen. Ein Feh­ler, wie sich zei­gen wird, denn wir ver­brin­gen eine lan­ge unge­müt­li­che Nacht sit­zend auf kal­ten Git­ter­stüh­len in der über­füll­ten War­te­hal­le — kei­ne Chan­ce, sich irgend­wo aus­zu­stre­cken. Anstatt um 6 Uhr star­tet unser Flugi dann erst um 9 Uhr. Nach dem ereig­nis­lo­sen Flug mit schö­nem Blick ver­pas­sen wir in Delhi natür­lich den Anschluss­flug nach Luck­now, und da der spä­te­re Flug aus­ge­bucht ist, neh­men wir kur­zer­hand ein Taxi.

Nacht­zug nach Luck­now
Der gesprä­chi­ge Fah­rer, der uns die mor­gend­li­che Anru­fung an Lord Gane­sha vor­singt, bringt uns zur New Delhi Rail­way Sta­ti­on, wo wir zwei Plät­ze für den 22 Uhr Nacht­zug nach Luck­now buchen.
Jetzt müs­sen wir die War­te­zeit irgend­wie ver­brin­gen. Ein Riks­ha­fah­rer soll uns zu einem Tem­pel brin­gen, er ver­fährt sich und so kom­men wir zu einer schö­nen Stadt­rund­fahrt. Der Tem­pel ist schnell besich­tigt, es wird schon dun­kel und weit und breit ist kei­ne Rik­s­ha in Sicht. Dafür bringt uns ein hilfs­be­rei­ter jun­ger Mann zum Bahn­hof, natür­lich erzählt er uns sei­ne tris­te Lebens­ge­schich­te («plea­se help me, you are sent from God»). Wahr oder nicht: da er uns sicher zur Rail­way Sta­ti­on gebracht hat, las­sen wir für die gui­ded Tour 300 Rupi­es sprin­gen. Die Segens­wün­sche unse­res Gui­des beglei­ten uns, und so hof­fen wir, dass unser Rei­se­glück auch noch für die letz­ten Tage in Indi­en anhält. Im Zug fal­le ich sofort in einen Tief­schlaf und habe das Gefühl, noch nie so bequem gele­gen zu haben.
Am Mor­gen früh kom­men wir in Luck­now an und bezie­hen im Hotel Vish­va­nath ein Zim­mer. Thö­mu fühlt sich kränk­lich, er hat Hals­weh und Fie­ber. So mache ich mich allein auf zum Bahn­hof und besor­ge Bil­letts für die Fahrt nach Vara­na­si am nächs­ten Tag. Im Bahn­hof Restau­rant kom­me ich ins Gespräch mit einem net­ten eng­li­schen Paar, er ist an der Uni­ver­si­tät in Luck­now und spricht zu mei­ner gros­sen Bewun­de­rung Hin­di.
Zurück im Hotel bringt der Room Ser­vice Ome­lette und Kaf­fee, wir blei­ben im Zim­mer und sam­meln Kräf­te für die Wei­ter­rei­se nach Vara­na­si. Die brau­chen wir am nächs­ten Tag dann auch!
Da wir in der Second Class kei­ne Sitz­plät­ze reser­vie­ren konn­ten, machen wir es wie die Ein­hei­mi­schen: wir fah­ren die Ell­bo­gen aus und stür­men den ein­fah­ren­den Zug. In unse­rem Abteil drän­gen sich dann min­des­tens dop­pelt so vie­le Rei­sen­de wie es ver­füg­ba­re Sit­ze hat, aber mit viel gutem Wil­len fin­den alle einen (aller­dings nur mäs­sig beque­men) Platz.
Wie­der ein­mal stau­ne ich über die Beweg­lich­keit und die klag­lo­se Anpas­sungs­fä­hig­keit der Inder/-innen! Das zar­te alte Müt­ter­chen fal­tet sich zusam­men, bet­tet wort­los sei­nen Kopf auf mei­nen Schoss, schliesst die Augen und rührt sich nicht mehr. Auch die ande­ren Mit­rei­sen­den fal­len schnell in einen Tief­schlaf, wäh­rend wir unge­len­ken West­ler bald nicht mehr wis­sen, wie wir unse­re Glie­der eini­ger­mas­sen schmerz­frei und platz­spa­rend dra­pie­ren kön­nen. Das Geru­ckel des Zugs wirkt aber beru­hi­gend und ein­schlä­fernd. Wenn nur die­se ein­set­zen­den Hals­schmer­zen nicht wären… Es zieht zum offe­nen Git­ter­fens­ter her­ein, und auch der Schal um den Kopf kann die kal­te Zug­luft nicht abhal­ten. Aus­ser­dem freue ich mich nicht wirk­lich auf Vara­na­si, und je mehr wir uns der Stadt nähern, des­to krän­ker füh­le ich mich. Ich glau­be tat­säch­lich schon den Rauch der Ver­bren­nungs­feu­er zu rie­chen — wohl eine Nach­wir­kung des (im übri­gens aus­ge­zeich­ne­ten) Buchs: «Loo­king Through Glass» bzw. «Die Rei­se nach Ben­a­res» von Mukul Kes­ha­van, der die­sen Geruch so dras­tisch beschreibt.

Vara­na­si
Ziem­lich erschöpft kom­men wir in Benares/Varanasi an und las­sen uns von einer Rik­s­ha in ein Hotel fah­ren. Der umtrie­bi­ge Mana­ger ver­mit­telt uns sofort eine Boots­fahrt auf dem Gan­ges am Abend, denn trotz geschwäch­ter Gesund­heit wol­len wir schliess­lich mög­lichst viel von Vara­na­si sehen.
Zuerst blei­ben wir aber ein Weil­chen auf der Dach­ter­ras­se und sehen den vie­len Dra­chen zu, die im duns­ti­gen Him­mel tan­zen. Wir kom­men mit einem indi­schen Gast ins Gespräch, der Thö­mu auf das Rau­chen anspricht und ihm rät, doch mit die­ser unge­sun­den Gewohn­heit auf­zu­hö­ren. Er erzählt uns, wie er sich ent­schlos­sen hat, auf­zu­hö­ren. Er schil­dert ein­drück­lich eine klas­si­sche «Eines-Tage-schau­te-ich-in-den-Spie­gel-und-sag­te-zu-mei­nem-Spie­gel­bild-Sze­ne» (berüch­tigt aus vie­len Fil­men). Offen­bar hat er seit die­sem Gespräch tat­säch­lich nie mehr geraucht, er war damals fünf­zig Jah­re alt. Es tref­fe sich also gut, dass Thö­mu im glei­chen Alter sei. Wir lachen, aber wie es so ist in Indi­en: die Ziga­ret­te an die­sem Abend wird Thö­mus letz­te sein, nach die­ser schick­sals­haf­ten Begeg­nung gibt er tat­säch­lich das Rau­chen auf.
Spä­ter dann die nächt­li­che Boots­fahrt auf dem Gan­ges, wir sehen die all­abend­li­che Aar­ti, die Licht­er­ze­re­mo­nie mit Gesän­gen und Musik und die etwas unheim­li­chen bren­nen­den Holz­sta­pel am Bur­ning Ghat («you can see dead bodies»). So wie unser Boots­füh­rer es ankün­digt, sind die­se offe­nen Lei­chen­ver­bren­nun­gen die Haupt­at­trak­ti­on für die Tou­ris­ten. Mir wird es alles ein biss­chen viel, auch die in Tücher ein­ge­wi­ckel­ten Toten muss ich nicht unbe­dingt aus nächs­ter Nähe sehen. Aus­ser­dem fühlt sich Thö­mu gar nicht gut und hat offen­sicht­lich Fie­ber. Zuhau­se im Hotel will ich nur ins Bett, und mir fehlt auch die Ener­gie, die bereits geplan­te Fahrt mit unse­rem Boots­mann für den nächs­ten Tag (ein wei­te­rer Son­nen­auf­gang, dies­mal auf dem Gan­ges) abzu­sa­gen.
So klopft am nächs­ten Mor­gen früh der in eine Decke gehüll­te Fähr­mann über den Hades an die Zim­mer­tür und huscht wort­los vor­an durch dunk­le Gäss­chen Rich­tung Fluss. Ich fol­ge schick­sals­er­ge­ben dem ver­hüll­ten Cha­ron, und es kommt mir wirk­lich ein biss­chen vor wie eine Rei­se in die Anders­welt. Es ist kalt auf dem Fluss und dun­kel, ich füh­le mich elend und der Son­nen­auf­gang bringt auch kei­nen Trost. Auf die Bur­ning Ghats kann ich ver­zich­ten, ich will nur noch zurück ins Leben und ins war­me Bett.
Thö­mu hat inzwi­schen recht hohes Fie­ber. Mit Hil­fe des Hotel­ma­na­gers fin­de ich eine Apo­the­ke und kau­fe fie­ber­sen­ken­den Medi­ka­men­te, aus­ser­dem Bana­nen und Was­ser. Ich füh­le mich inzwi­schen auch ziem­lich krank und kann kei­ne neu­en Ein­drü­cke mehr auf­neh­men.
Und so bleibt von Vara­na­si nur ein ver­schwom­me­nes Bild zwi­schen Traum und Wirk­lich­keit. Irgend­wann machen wir noch einen Spa­zier­gang, Thö­mu geht es inzwi­schen wie­der bes­ser, ich trot­te nur wil­len­los hin­ter­her und sehe nichts von der fas­zi­nie­ren­den Stadt.
Am Abend der Abrei­se nach Delhi ist es mir dann so schlecht, dass ich für die nächt­li­che Zugs­fahrt das Schlimms­te befürch­te. Doch sobald uns die Rik­s­ha durch den unglaub­li­chen Ver­kehr an den Bahn­hof gebracht hat, klet­te­re ich auf mei­ne Lie­ge (der Lieb­lings­platz: das obe­re Bett auf der Sei­te des Gangs), schlies­se den Vor­hang und fal­le in einen Tiefschlaf.

 

Phir milen­ge!
Am nächs­ten Mor­gen bin ich müde, aber wie­der gesund. Wir che­cken ein im Hotel Fif­ty Five (der Name eine ech­te Her­aus­for­de­rung für jeden Inder: phip­h­ty phip­he) am Connaught Place bzw. Rajiv Chowk und erho­len uns im fens­ter­lo­sen Zim­mer.
Thö­mu ruft Mr. Gupta an, der dann auch prompt erscheint und uns am nächs­ten Tag mit sei­nem Auto zum Flug­ha­fen brin­gen will. Er scheint sich echt zu freu­en, uns wie­der zu sehen und wir freu­en uns natür­lich auch. Es ist ja eine Ewig­keit her, dass wir unter sei­nen Fit­ti­chen unse­re ers­ten Schrit­te in Indi­en gewagt haben!
Sou­ve­nirs kau­fen im Government Empo­ri­um und in Pahar Ganj ein bil­li­ges Roll­kö­fer­li, damit wir unse­re Sachen, vor allem natür­lich das wun­der­ba­re Chrom­stahl­ge­schirr ver­stau­en kön­nen, dann das Abschieds­es­sen im United Cof­fee — an die­ser Tra­di­ti­on am Ende unse­res Indi­en­auf­ent­halts wer­den wir künf­tig (fast) immer festhalten.

Am nächs­ten Mor­gen früh erscheint zuver­läs­sig unser Mr. Gupta und fährt uns zum Inter­na­tio­nal Air­port. Ab jetzt geht alles schnell und rei­bungs­los, wir heben ab und las­sen das Land zurück, das uns so reich beschenkt hat. Phir milenge!