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Herbst 2006

Rei­se­be­richt als PDF

Bom­bay ali­as Mum­bai
Der Emp­fang im Hotel Sea Green ist weni­ger freund­lich als die Mails, die unse­re Buchung bestä­tigt haben — wort­los schiebt uns der Hotel­ma­na­ger das gros­se Buch zum Ein­tra­gen unse­rer Per­so­na­li­en hin und schaut uns mit stei­ner­ner Mie­ne zu, wie wir die flat­tern­den Sei­ten bän­di­gen, die der star­ke Ven­ti­la­tor immer wie­der umblät­tert. Ein eben­so mür­ri­scher Ange­stell­ter fährt uns mit dem Lift zu unse­rem rie­si­gen Zim­mer, immer­hin sieht man vom Bal­kon aus den Mari­ne Dri­ve und das Meer. Es ist schon spät und wir sind hung­rig und mögen nicht mehr all­zu weit gehen, um ein net­tes Restau­rant zu fin­den. Also lan­den wir in der Piz­ze­ria in der Ecke zur Nari­man Road, schau­en melan­cho­lisch durch die gros­sen Glas­schei­ben auf den dün­nen Kut­scher und das klapp­ri­ge Pferd und sind noch nicht so ganz in Indi­en ange­kom­men («was machen wir hier?»)
In den nächs­ten Tagen erschliesst sich aber der Charme von Mum­bai (Bom­bay) nach und nach. Feucht­war­mes Kli­ma, viel Ver­kehr, viel Grün, schö­ne Archi­tek­tur (spek­ta­ku­lär der Vic­to­ria Ter­mi­nus, jetzt Chhat­ra­pa­ti Shi­va­ji Ter­mi­nus) und immer wie­der star­ke Regen­schau­er.
Wir essen süd­in­disch zum Zmor­ge, Par­si zum Znacht, ein­mal Bom­bay Duck (einen Fisch) und immer fein. In den Art Deco-Kinos Regal und Eros sehen wir «Kabhi Alvi­da Na Keh­na» und «Lage Raho Munn­ab­hai» und kön­nen trotz feh­len­der Unter­ti­tel der Hand­lung ganz gut fol­gen. Vor Beginn der Vor­stel­lung ertönt jeweils die Natio­nal­hym­ne und alle Zuschau­er ste­hen auf. Wäh­rend der Titel von KANK rela­tiv ein­fach mit «Never Say Good­bye» zu über­set­zen ist, berei­tet mir die Bedeu­tung von «Lage Raho» viel Kopf­zer­bre­chen und kann nicht ergrün­det wer­den. Reift in die­sem Zeit­punkt bereits die Ent­schei­dung, einen Hin­di Sprach­kurs zu besu­chen? Auf jeden Fall stos­sen wir «zufäl­lig» auf die Adres­se der Lan­dour Lan­guage School in Mus­soo­rie, die sol­che Kur­se anbie­tet. Nun liegt die­se Hill Sta­ti­on ganz im Nor­den im Bun­des­staat Uttarak­hand, ca. 300 km nörd­lich von Delhi und ent­spre­chend noch viel wei­ter weg von Bom­bay. Da hät­ten wir doch gleich nach Delhi flie­gen können!

Ali Mera Dil

von Amjad Sab­ri | Ali Ke Sath Zoh­ra Ki Shadi Hai

Lan­dour Lan­guage School
Nach­dem wir uns also ent­schie­den haben, Hin­di zu ler­nen, star­ten wir unse­re 35-stün­di­ge Zugs­fahrt in den Nor­den. Das Zug­fah­ren ist immer ein High­light, trotz eisig bla­sen­der Kli­ma­an­la­ge. Ein guter Tipp: ein gros­ser Schal ist Gold wert, als Kopf- und Hals­tuch, als Bett­de­cke, zum Abtrock­nen, als Sichtschutz…

In Delhi fah­ren wir mit einer Rik­scha von der New Delhi Rail­way Sta­ti­on durch die engen Gas­sen zum Bahn­hof von Old Delhi. Es ist Fei­er­tag, Dus­seh­ra, und die drei rie­si­gen Figu­ren von Rava­na und sei­nen Dämo­nen­kol­le­gen wer­den mit viel Geknal­le und Feu­er­werk ver­brannt. Die Zuschau­er sind gefähr­lich nah, und als die Drei fun­ken­sprü­hend explo­die­ren, müs­sen wir uns vor her­un­ter­fal­len­den bren­nen­den Kör­per­tei­len in Sicher­heit brin­gen.
Im beque­men Schlaf­ab­teil fah­ren wir dann durch die Nacht wei­ter Rich­tung Nor­den. Am frü­hen Mor­gen durch grü­ne Land­schaft im fast lee­ren Zug nach Dehr­adun, der stau­bi­gen Haupt­stadt von Uttarak­hand. Dort neh­men wir nach dem Zmor­ge einen Bus und fah­ren eine Stun­de immer höher hin­auf in die Ber­ge. Die kur­ven­rei­che Stras­se bringt uns nach Mus­soo­rie, 2000 m hoch gele­gen, die Schnee­ber­ge des Hima­la­ya schei­nen hier recht nah zu sein.

Wir las­sen uns mit dem Taxi noch ein biss­chen höher nach Lan­dour brin­gen, in die­sem Teil von Mus­soo­rie befin­det sich die Schu­le. Wir fin­den ein stil­vol­les Guest­house im Wald, Dev­dar Woods, kolo­nia­ler Charme und lie­be­voll bepflanz­ter Gar­ten, rie­si­ge Bäu­me mit lär­men­den Maka­ken und ele­gan­ten Lan­gu­ren.
Dann machen wir uns auf zur Schu­le und erkun­di­gen uns beim Princi­pal über das Ange­bot. Eigent­lich möch­ten wir ja nur ein paar Grund­la­gen ler­nen, das Wich­tigs­te in Kür­ze, sicher nicht die Schrift — aber oha: ent­we­der alles oder nichts, teilt uns der stren­ge Head­mas­ter in gepfleg­tem Eng­lisch mit, ohne Schrift gibts kuch nahi (gar nichts…). Aus­ser­dem nimmt er nur für ein paar Tage sowie­so kei­ne Schü­ler auf. Also schrei­ben wir uns gleich für zwei­ein­halb Wochen (!) Hin­di For Begin­ners ein, Kurs­be­ginn ist bereits am nächs­ten Tag. Das wird sicher anspruchs­voll, ohne Vor­kennt­nis­se nicht «nur» eine neue Spra­che, son­dern auch eine frem­de Schrift zu ler­nen!
In Dev­dar Woods sind bereits ande­re (viel jün­ge­re) Stu­dents unter­ge­bracht, wir sehen sie im schö­nen Gar­ten ler­nen und schrei­ben. Ich schaue neid­voll auf die ele­gan­ten Deva­na­ga­ri Schrift­zei­chen und fra­ge mich, ob wir das wirk­lich je ler­nen wer­den.
Unser Zim­mer­chen ist ein­fach, geges­sen wird gemein­sam mit den ande­ren Sprach­schü­lern in einem Spei­se­saal, gekocht und ser­viert von net­ten Ange­stell­ten, die den Fort­ge­schrit­te­ne­ren auch als gedul­di­ge Übungs­part­ner zur Ver­fü­gung ste­hen. Die ande­ren Hin­di Vidy­ar­thi (Schü­ler) sind natür­lich alle viel jün­ger als wir, Ame­ri­ka­ne­rin­nen, ein Eng­län­der, ein Ita­lie­ner und ein Schwei­zer Theo­lo­gie­stu­dent, der sich auf unse­re Hin­di Wör­ter­bü­cher stürzt, um alle Begrif­fe, die er noch nicht kennt, zu kopie­ren. Er spricht schon recht gut und ver­si­chert uns, dass wir sicher die Schrift ler­nen und Grund­kennt­nis­se der Spra­che erwer­ben wer­den. Aber er ist auch ein rich­ti­ges Sprach­ta­lent, er lernt neben­bei noch Hebrä­isch und San­krit, und ich höre ihm vol­ler Bewun­de­rung zu, wie er jede Gele­gen­heit nützt, mit den Ange­stell­ten in Hin­di zu par­lie­ren.
Am nächs­ten Tag gehts los. Thö­mu und ich sind zu Zweit und haben bei ver­schie­de­nen Tea­chers Unter­richt. Wir begin­nen mit der Schrift: Zuerst die Voka­le, dann kom­men jeden Tag ein paar neue Schrift­zei­chen dazu — es heisst also üben, üben, üben. Mein Tage­buch füllt sich mit kra­ke­li­gen Deva­na­ga­ri Zei­chen, die aber zuneh­mend form­schö­ner aus­se­hen. Das Lesen­ler­nen weckt Erin­ne­run­gen an die ers­te Klas­se, wir buch­sta­bie­ren lang­sam und sto­ckend und set­zen nach und nach die Bedeu­tung der Wör­ter zusam­men. Aus­ser­dem wer­den wir gedrillt, bis uns der Kopf schwirrt mit Post­po­si­ti­ons, Obli­que Forms und Inten­si­fiers, alles net­te Eigen­hei­ten des Hin­di. Die Schul­stun­den fin­den in karg ein­ge­rich­te­ten, feucht­küh­len Räu­men statt, teil­wei­se auch im Turm der Kir­che, die am Sonn­tag immer noch für den Got­tes­dienst genutzt wird.
Die Leh­re­rin­nen und Leh­rer wech­seln sich ab: Mr. Din­kar, der Tabel­len liebt uns uns die Fines­sen des gepfleg­ten Hin­di näher­brin­gen will («say after me»), Jar­win­der, die trotz Käl­te das Fens­ter immer offen haben muss, «weil sonst ihr Hirn still­steht» und die fast in ihrem Schal ver­schwin­det (ihr Lieb­lings­wort: drill!), Tas­leem, der Ken­ner von Hin­di­fil­men, der uns gedul­dig die (für unse­re West­le­roh­ren nicht hör­ba­ren) Unter­schie­de zwi­schen d, dh, dd, ddh usw. bei­bringt.
Am Nach­mit­tag wabert manch­mal der Nebel um die grau­en Stein­häu­ser, die per­fek­te Kulis­se für einen Daph­ne du Mau­ri­er-Roman. Dazu die dich­ten Wäl­der und in der Fer­ne die schnee­be­deck­ten Hügel — Indi­en scheint weg zu sein. Neben den Schul­stun­den und den Haus­auf­ga­ben bleibt wenig Zeit für Feri­en… Trotz­dem machen wir Spa­zier­gän­ge durch den dich­ten Wald oder sit­zen im Gar­ten unter der rie­si­gen Zeder und schau­en den Lan­gu­ren zu. Manch­mal wan­dern wir ins Städt­chen hin­ab, um in der Libra­ry die Zei­tung zu lesen, uns im Pub ein Bier­chen zu geneh­mi­gen oder in einem tibe­ti­schen Lokal Momos zu essen. Die bes­ten gibt es im Gol­den Restau­rant, 8 Stück zu 35 Rupi­es. Im Dev­dar sind alle Mahl­zei­ten am Gemein­schafts­tisch inklu­si­ve, aber um dem Lager­kol­ler vor­zu­beu­gen, essen wir zwi­schen­durch aus­wärts. Eine gute hal­be Stun­de berg­ab mit schö­nen Aus­bli­cken auf die Ebe­ne dau­ert der Spa­zier­gang ins Zen­trum von Mus­soo­rie. Hier gibt’s «The Mall», eine Art eng­li­sche See­pro­me­na­de ohne Meer, mit ver­schnör­kel­ten Stras­sen­la­ter­nen, Blu­men­ra­bat­ten, «Kunst» und Aus­sichts­pa­vil­lons. Etwas aus­ser­halb hat es Tee­plan­ta­gen und ein tibe­ti­sches Zen­trum, aus­ser­dem einen Zoo. In der Mit­te des Orts befin­det sich viel­ge­prie­se­ne Schwe­be­bahn auf den Aus­sichts­punkt «Gun Hill», der sei­nem Namen alle Ehre macht mit den Schiess­bu­den und dem her­un­ter­ge­kom­me­nen Rum­mel­platz-Flair. Die View­points sind gut ver­steckt hin­ter den alt­mo­di­schen Schau­bu­den, dafür ist die Aus­sicht auf die Schnee­ber­ge umso schö­ner. Da sich aber uns in Bern beim Gang über die Korn­haus­brü­cke die glei­chen erhe­ben­den Aus­bli­cke fast täg­lich bie­ten (d’Bär­ge!), hält sich das Ah und Oh etwas in Grenzen.

Indi­sche Tou­ris­ten fal­len vor allem am Wochen­en­de ein und man­che kom­men spe­zi­ell zum Piz­za­es­sen in unser Hotel, die Piz­za ist offen­bar die Attrak­ti­on des Dev­dar! Auch sonst ist das Essen gut, wenn auch nicht sehr abwechs­lungs­reich, Reis, Dal, Gemü­se und manch­mal Huhn, indisch eben. Unse­re (teil­wei­se sehr ver­wöhn­ten) Mit­be­woh­ne­rin­nen set­zen eine Lis­te auf, wor­in sie mehr Abwechs­lung for­dern, nament­lich wol­len sie mehr Früch­te, Mües­li und Sala­te (!) Eine ziem­li­che Anmas­sung, wenn man sieht, was das sai­so­na­le Ange­bot ist, ganz zu schwei­gen vom lächer­lich güns­ti­gen Preis, den wir hier für All Inclu­si­ve zah­len.
Es ist so ruhig hier, am Mor­gen hören wir nichts als Gril­len und Vogel­stim­men. Manch­mal lär­men die Affen, sie ren­nen über das Hotel­dach und dre­hen immer wie­der mal am Haupt­was­ser­hahn, dann kommt jeweils kein Was­ser aus der Dusche. Manch­mal fällt am Abend der Strom aus und dann lie­gen wir minu­ten­lang im dunk­len Zim­mer und lau­schen der Stil­le, eine will­kom­me­ne Unter­bre­chung, wenn wie­der Wört­li gelernt wer­den müs­sen. Nach ein paar Start­schwie­rig­kei­ten sind wir inzwi­schen ein recht gut ein­ge­spiel­tes Lern­team und die Spra­che fängt an, rich­tig Spass zu machen.

Tas­leem meint, dass wir reif sei­en für einen Hin­di Film und schlägt uns vor, am Sams­tag nach Dehr­adun ins Kino zu fah­ren, um unser Sprach­ver­ständ­nis zu tes­ten. Also neh­men wir den Bus hin­un­ter ins Tal. In der Stadt ist es heiss und lär­mig, nach unse­rer küh­len Hill Sta­ti­on sind wir uns den Tru­bel nicht mehr gewöhnt. Zuerst kau­fen wir uns im Bahn­hof am V.I.P. Schal­ter (in Deva­na­ga­ri laut­ma­le­risch ange­schrie­ben, ich kann es ent­zif­fern!) Zugs­bil­let­te nach Amrit­sar. Auf der Suche nach dem Kino in der Nähe des Clock­to­wers sehen wir, dass plötz­lich alle Läden, Restau­rants und sicher auch das Kino dicht­ge­macht wer­den, viel Poli­zei ist prä­sent. «Bandh» sagen die Leu­te, die wir fra­gen, offen­bar ein Streik. Des­halb kön­nen wir nicht ein­mal ein Pani (Was­ser) für unse­re aus­ge­dörr­ten Keh­len kau­fen, so bestei­gen wir den nächs­ten Bus nach Mus­soo­rie und fah­ren ins grü­ne Gebirg zurück. Durch­at­men! In der Nacht zu Fuss zu unse­rem Wald­ho­tel auf­stei­gen, über uns der glit­zern­de Ster­nen­him­mel und unter uns die Lich­ter im Tal — unver­gleich­lich. Ein­mal hören wir aus ver­schie­de­nen Häu­sern einen bekann­ten Song aus Kut­ch Kut­ch Hota Hai und schaf­fen es nach dem drei­vier­tel­stün­di­gen Auf­stieg noch locker, den Film im Salon des Dev­dar zu Ende zu schau­en.
Die Tage glei­chen sich: am Mor­gen ler­nen und manch­mal einen Spa­zier­gang machen, meist zum Chard­u­kan, wo Thö­mu die Times of India bestellt hat, dann Mit­tag­essen, am Nach­mit­tag 4 Stun­den Schu­le, zur Beloh­nung ein Chai im Chard­u­kan, dann Auf­ga­ben und Nacht­es­sen. Das Wet­ter hält sich wun­der­bar, son­nig und frisch, manch­mal zie­hen am Nach­mit­tag Nebel auf, und am Abend ist es recht kühl und sternenklar.

Am letz­ten Frei­tag unse­res Auf­ent­halts ist Diwa­li, des­halb fällt die Schu­le aus. Am Vor­abend sind die Läden alle geöff­net, über­all hän­gen Gir­lan­den und die Men­schen kau­fen neue Küchen­uten­si­li­en. Wir tref­fen Mr. Din­kar mit einem Rie­sen­pa­ket und kau­fen uns auch sechs neue Chrom­stahl­tel­ler und Becher. Im Gewit­ter­re­gen nach Hau­se, es don­nert und der Regen pras­selt die gan­ze Nacht aufs Blech­dach. Am nächs­ten Tag fällt ein trost­lo­ser Dau­er­re­gen, wir las­sen unser neu gekauf­tes Geschirr und ein paar Bücher von einem Schnei­der in ein Päck­li ein­nä­hen, damit wir den über­flüs­si­gen Bal­last nicht auf unse­rer Wei­ter­rei­se mit­schlep­pen müs­sen. Wir irren mit dem Paket von einem Post Office zum ande­ren, das ers­te ist nicht zustän­dig und das zwei­te ist geschlos­sen. So schleppt Thö­mu das schwe­re Ding mei­len­weit, es reg­net ohne Ende und das süd­in­di­sche Essen zum Bier­chen im Tavern bie­tet nur kurz­fris­tig Trost. Schliess­lich tröp­felt es nur noch. Die letz­ten Momos im Gol­den und da kein Taxi in Sicht ist, stei­gen wir zum letz­ten Mal zu Fuss hin­auf zu unse­rem Wald­ho­tel. In der Nacht wird es emp­find­lich kühl.
Am Sams­tag ist es wie­der hel­ler, wir ver­ab­schie­den uns von unse­ren Mit­be­woh­ner-/in­nen und den net­ten Ange­stell­ten, das Trink­geld ste­cken sie wort­los und fast mür­risch ein (ein Zei­chen, dass es ange­mes­sen ist, habe ich irgend­wo ein­mal gele­sen…) Mit dem Taxi nach Dehr­adun, wo das Post Office wegen Holi­day geschlos­sen ist, so beglei­tet uns das ton­nen­schwe­re Büs­ser­pa­ket weiterhin…

Am Ursprung der Gan­ga
Mit dem Zug fah­ren wir durch üppi­ges Grün ins ca. 50 km ent­fern­te Harid­war, eine der hei­ligs­ten Städ­te Indi­ens am Ober­lauf des Gan­ges. Hier fin­det alle 12 Jah­re die Kumbh Mela statt, das nächs­te Mal 2010. Vom Bal­kon unse­res Hotels haben wir bes­te Sicht auf die beleb­te Stras­sen und das bun­te Gewim­mel: Pil­ger, Riks­has, Kühe, Saris, Tur­ba­ne, Töffs — bes­tes Stras­sen­thea­ter live und nie lang­wei­lig!
Spä­ter schlen­dern wir über den far­bi­gen Bazaar, über­all locken Ban­gles, die schie­re Aus­wahl über­wäl­tigt mich jedoch. Sehr ange­nehm sind die zurück­hal­ten­den Ver­käu­fer und die fried­li­che gelas­se­ne Stim­mung. Hin­un­ter zum Was­ser, die Gan­ga ist hier noch ein rau­schen­der, schnell zie­hen­der Fluss — wenn es weni­ger kalt wäre könn­te ich mir ein Bad in den grün­li­chen Wel­len durch­aus vor­stel­len. Am Abend fin­det eine ein­drück­li­che Zere­mo­nie statt mit Gong, Gesang und Licht­schiff­chen.
Den gan­zen nächs­ten Mor­gen reg­net es, wir kau­fen einen Schirm und wol­len unser Gepäck im Cloak Room depo­nie­ren, da wir in der Nacht wei­ter­rei­sen wer­den nach Amrit­sar (das Päck­li sind wir inzwi­schen los­ge­wor­den). Da unse­re Ruck­sä­cke unver­schlos­sen sind, wird die Annah­me ver­wei­gert, und erst nach­dem wir sie mit Vor­hän­ge­schlös­sern Pro For­ma gesi­chert haben, kön­nen wir unser Gepäck depo­nie­ren. (Seit­her rei­sen wir nie mehr ohne Schloss und Schlüs­sel­chen, das Sys­tem hat Thö­mu inzwi­schen so pro­fes­sio­na­li­siert, dass sich unse­re Ruck­sä­cke tat­säch­lich ver­schlies­sen las­sen). Es wird wie­der hel­ler, wir spa­zie­ren am Gan­ges ent­lang, die Leu­te baden und voll­zie­hen geheim­nis­vol­le Hand­lun­gen, wir sehen klei­ne Altä­re unter den Bäu­men, Sad­d­hus und Sonn­tags­spa­zier­gän­ger.
Dann ins Kino: es läuft Don 2 von Far­han Akhtar mit SRK. Das Bil­lett ist spott­bil­lig, die Holz­sit­ze hart und die Zuschau­er sind vor­wie­gend jun­ge Män­ner. Es gibt immer wie­der Unter­brü­che, wahr­schein­lich Film­ris­se, was immer lau­tes Buh­ru­fen aus­löst, bis die Hand­lung wei­ter geht. Beson­ders lus­tig ist, als es wie­der ein­mal dun­kel wird auf der Lein­wand. Sofort ertö­nen lau­te Pro­test­ru­fe, dabei wird in die­ser Sze­ne jemand in den Kof­fer­raum eines Autos gesperrt, was aus der Sicht des Ein­ge­schlos­se­nen gezeigt wird… Im Saal gibt es aber auf jeden Fall min­des­tens soviel Action wie im Film! Es wird hem­mungs­los geschwatzt, tele­fo­niert, der Nüss­li­wal­lah wird her­bei­ge­ru­fen (wäh­rend der gan­zen Vor­stel­lung lau­fen Ver­käu­fer durch die Rei­hen und prei­sen ihr Ange­bot an), aus­ser­dem wird geklatscht und gebrüllt (Action) oder gepfif­fen (Frau­en). So rich­tig kann ich mich nicht auf den Film kon­zen­trie­ren, ers­tens ist er in Hin­di ohne Unter­ti­tel und zwei­tens starrt mich mein Sitz­nach­bar unver­wandt an und will auch noch ein Gespräch anfan­gen. Dann fällt ihm vor lau­ter Auf­re­gung das Han­dy her­un­ter und er kriecht suchend in der Dun­kel­heit unter den Holz­stüh­len umher. Die meis­ten Zuschau­er haben den Film offen­bar schon mehr­mals gese­hen, denn noch vor der letz­ten Sze­ne ste­hen vie­le auf und ver­las­sen das Kino, und so bekom­men wir den Schluss gar nicht mehr rich­tig mit. Aber allein wegen dem Spek­ta­kel im Saal bleibt Don 2 unvergesslich.

Gol­den Temp­le
Am Abend bestei­gen wir den Zug nach Amrit­sar und kom­men am nächs­ten Mor­gen früh an. In einer ein­fa­chen Dha­ba esse ich die bes­ten Parathas mei­nes Lebens, frisch gemacht und wun­der­bar!
Nach­dem wir uns im ange­neh­men Hotel in der Nähe des Bahn­hofs etwas aus­ge­ruht haben (die Nacht im Zug war dies­mal nicht sehr erhol­sam), besu­chen wir den Hari Man­dir (Gol­de­ner Tem­pel) und las­sen uns von der fried­li­chen Atmo­sphä­re die­ses spe­zi­el­len Orts ver­zau­bern. Die har­mo­ni­schen Gesän­ge, der gol­de­ne Tem­pel, der sich im Was­ser spie­gelt, der küh­le weis­se Mar­mor unter den Füs­sen — hier ver­brin­gen wir Stun­den und besu­chen den Tem­pel meh­re­re Male an ver­schie­de­nen Tages­zei­ten. Die Stadt sel­ber wird von Abga­sen fast erstickt und der Ver­kehr ist beängs­ti­gend. In der Alt­stadt jedoch hat es einen far­ben­präch­ti­gen Bazaar und unglaub­lich enge Gäss­chen, die wir zu Fuss durch­strei­fen. Mit der Vel­orik­s­ha pen­deln wir vom Hotel zum Tem­pel, immer mit dem schlech­ten Gewis­sen, sich von einem sich hart abstram­peln­den Fah­rer chauf­fie­ren zu las­sen wie ein fau­ler Geld­sack. Ich ver­su­che mich, so leicht wie mög­lich zu machen und als die Stras­se etwas ansteigt, stei­gen wir ab und gehen zu Fuss.

Da die Züge nach Bom­bay offen­bar aus­ge­bucht sind, fah­ren wir am nächs­ten Mor­gen früh nach Delhi, wo wir in den ent­schei­den­den letz­ten fünf Minu­ten noch ein Ticket erhal­ten für den Nacht­zug nach Bom­bay, der am glei­chen Abend fährt. Genug Zeit für einen Spa­zier­gang zum Connaught Place resp. Rajiv Gan­dhi Chowk bleibt aber noch. Im Cloak Room kön­nen wir nach lan­gem Hin und Her und nach erfolg­rei­cher Mon­ta­ge unse­rer Chor­te Tale (klei­nen Schlös­ser, die wir jetzt flies­send in Hin­di benen­nen kön­nen) doch noch unse­re Ruck­sä­cke depo­nie­ren. Im United Cof­fee House essen wir ein fei­nes Murgh (und wenn mich nicht alles täuscht, sitzt der glei­che Ava­tar von Bob­by Charl­ton wie letz­tes Jahr am glei­chen Tisch…)

Ello­ra und Ajan­ta
Mit einer net­ten Fami­lie aus Guja­rat ver­brin­gen wir eine Nacht und den Tag im Zug, Thö­mu lehrt den den Sohn San­jay Sudo­ku. Als Dank erhal­ten wir süs­se, mit Sil­ber­fo­lie über­zo­ge­ne Diwa­li-Stück­li.
Das Hotel Oasis in Bom­bay in der Nähe des Vic­to­ria Ter­mi­nals resp. Chh­at­tra­pa­ti Shi­va­ji Ter­mi­nus ist tip­top sau­ber, mit kli­ma­ti­sier­tem Zim­mer und freund­li­chem Ser­vice. Zum wohl­ver­dien­ten Bier­chen spä­ter gibts für mich Aloo Palak, Thö­mu ver­zich­tet, er fühlt sich nicht wohl und hat auch ein biss­chen Fie­ber. Am nächs­ten Tag trifft es mich, und nach­dem wir Zug Tickets für Auran­g­a­bad gekauft haben, blei­be ich im ange­nehm küh­len Zim­mer und döse.
Für das Znacht am Abend bin ich wie­der fit, der kera­li­sche Chef de Ser­vice emp­fiehlt uns sei­ne Hei­mat wärms­tens. May­be next time!
Vor­läu­fig steht Auran­g­a­bad auf dem Pro­gramm. Im moder­nen Zug auf beque­men Sit­zen fah­ren wir am nächs­ten Mor­gen los, durch wun­der­ba­re Land­schaft mit Man­go­bäu­men, Baum­woll­fel­dern und eigen­ar­ti­gen Tafel­ber­gen. In Auran­g­a­bad ins Hotel Gre­at Pun­jab in der Nähe des Bahn­hofs. Die Aus­fahrt mit dem gemie­te­ten Velos schei­tert nach kur­zer Zeit, zu unbe­re­chen­bar ist der Ver­kehr, zu unsi­cher füh­le ich mich auf dem zu hohen Her­ren­ve­lo — mein Fahr­stil wird durch all die Zuru­fe der Ein­hei­mi­schen noch etwas wack­li­ger — ein Deba­kel! Ich bin den Trä­nen nahe, Thö­mu genervt, wir brin­gen die Velos zurück und stol­pern lust­los durch die nicht sehr attrak­ti­ve Stadt. Schliess­lich geben wir auf und flüch­ten uns ins Hotel zu Cri­cket (Thö­mu) und in blei­schwe­ren Schlaf mit Alp­träu­men (ich).
Am nächs­ten Tag, es ist Sonn­tag, sieht alles doch schon hei­te­rer aus, der Aus­flug zur Bibi Ka Mak­ba­ra (das Mau­so­le­um für die Frau von Aurang­zeb, eine etwas unge­len­ke Inter­pre­ta­ti­on des Taj Mahal) ist ein Erfolg, vor­al­lem bei den sonn­täg­lich geklei­de­ten indi­schen Fami­li­en. Von allen Sei­ten wer­den wir fürs Foto Shoo­ting her­bei­ge­ru­fen. Wahr­schein­lich wird die Anwe­sen­heit der Bleich­na­sen auf den unzäh­li­gen Fotos den bereits etwas ungüns­ti­gen Ein­druck der Anla­ge nicht ver­schö­nern…
Mit einer Motor­ri­k­s­ha fah­ren wir dann zu den nicht sehr bekann­ten Auran­g­a­bad Höh­len, sind dort auch die ein­zi­gen Tou­ris­ten und genies­sen die fried­li­che Atmo­sphä­re und bewun­dern die Stein­re­li­efs und ‑Figu­ren.

Die weit­aus bekann­te­ren Höh­len von Ello­ra besu­chen wir am nächs­ten Tag, ein Bus fährt uns hin. Wir ver­brin­gen Stun­den in der phan­tas­ti­schen Anla­ge und haben doch noch nicht alles gese­hen. Die Wun­der­wer­ke aus Stein, der Ort, wo Hin­du­is­mus, Jai­nis­mus und Bud­dhis­mus in ein­zig­ar­ti­ger Wei­se neben­ein­an­der bestehen, gehört zu Recht zum Unesco Welt­kul­tur­er­be. Unglaub­lich der Kailash Tem­pel, der aus einem rie­si­gen Fels­block her­aus­ge­hau­en wur­de, so lebens­echt die Ele­fan­ten, die ihn zu tra­gen schei­nen!
Ein kur­zer Platz­re­gen, wir war­ten am Schär­me mit einem Chai auf den Bus, der uns wie­der nach Auran­g­a­bad bringt. Ein Biry­ia­ni zum Znacht im «Kit­chen» gegen­über unse­res Hotels. Wir ver­ein­ba­ren mit Ashok, dem net­ten Riks­ha­fah­rer, der uns am Vor­tag ange­spro­chen hat, dass er uns über­mor­gen mit dem Taxi zu den berühm­ten bud­dhis­ti­schen Fel­sen­tem­peln von Ajan­ta fährt.
Eigent­lich wol­len wir einen Ruhe­tag ein­schal­ten, aber schon lockt die nächs­te Sehens­wür­dig­keit: Dau­la­t­a­bad, die rie­si­ge Fes­tungs­an­la­ge aus der Moghul Zeit, die wir ges­tern auf dem Weg nach Ello­ra gese­hen haben. Mit dem Bus fah­ren wir hin. Es hat kei­ne ande­ren west­li­chen Tou­ris­ten, und so wer­den Uncle und Aun­tie wie­der gebüh­rend bestaunt und befragt. Auf dem höchs­ten Punkt der Fes­tung hat es viel Aus­sicht, lär­men­de indi­sche Jungs im schwie­ri­gen Alter und fre­che Lan­gu­ren, die sich mit gestoh­le­nen oder geschenk­ten Chap­pa­tis voll­stop­fen. Wie­der ein kur­zer, aber hef­ti­ger Regen­guss, aber nach­dem uns der Bus zurück nach Auran­g­a­bad gebracht hat, scheint dort bereits wie­der die Son­ne. Zum Znacht gibt es ein fei­nes Hühn­chen, der Kell­ner spricht deutsch («Wie geht es Ihnen, gnä­di­ge Frau?»).
Am nächs­ten Mor­gen war­tet der von Ashok geschick­te Taxi­fah­rer vor dem Hotel und fährt sicher und gesit­tet durch Baumwolle‑, Zucker­rohr- und Mais­fel­der Rich­tung Ajan­ta. Wir sehen ein Grup­pe Fah­ren­de mit ihren Wagen, die von Och­sen gezo­gen wer­den und tipi­ähn­li­che Zel­te auf ihrem Lager­platz.
In Ajan­ta fah­ren wir mit einem Shut­tle­bus zum huf­ei­sen­för­mi­gen Fel­sen­can­yon à la Creux-du-Van. Dort befin­det sich sich ein wei­te­res Unesco Welt­kul­tur­er­be, die Fel­sen­höh­len. Ein paar sind mit Wand­ma­le­rei­en aus­ge­schmückt, die lei­der in einem erbärm­li­chen Zustand sind. Wür­de ich die Male­rei­en nicht von Repro­duk­tio­nen ken­nen, ich wür­de weder die reich geschmück­ten Frau­en noch die Bod­dhi­satt­vas, die Pfau­en und wei­te­re fei­ne Details erken­nen. Die feuch­te Luft und die vie­len Besu­cher wer­den den Zer­fall wahr­schein­lich noch beschleu­ni­gen. Dafür sind die Skulp­tu­ren in den ande­ren Höh­len und über­haupt die gan­ze Anla­ge gross­ar­tig. Gera­de­zu magisch erle­ben wir den gros­sen lie­gen­den Bud­dha in der letz­ten Höh­le, die spä­ten Son­nen­strah­len las­sen ihn auf­leuch­ten. Er strahlt eine so hei­te­re Ruhe aus, dabei wird er im Augen­blick sei­nes Ster­bens dar­ge­stellt. Teil­wei­se nicht fer­tig­ge­stell­te oder nur ange­fan­ge­ne Höh­len las­sen erah­nen, wie gewal­tig die Arbeit war, die­se Tem­pel aus dem Stein her­aus­zu­ar­bei­ten! Man­che haben Gewöl­be wie in Kathe­dra­len. Die Stein­skulp­tu­ren, die Säu­len, die Ver­zie­run­gen: unmög­lich, alles auf­zu­neh­men. Wir brau­chen eine Ver­schnauf­pau­se und spa­zie­ren zum Aus­sichts­punkt gegen­über. Von hier hat eine eng­li­sche Jagd­ge­sell­schaft die Anla­ge im Jahr 1819 offen­bar wie­der­ent­deckt, nach­dem sie tau­send Jah­re in Ver­ges­sen­heit gera­ten war. Als wir wirk­lich nichts mehr auf­neh­men kön­nen, ist das war­ten­de Taxi ein will­kom­me­ner Luxus.
In Auran­g­a­bad sind wir schon Stamm­gäs­te in der Per­mit Hall, wo Alko­hol aus­ge­schenkt wird. Ein King­fi­sher zum Ape­ro, spä­ter schar­fes Bir­ya­ni und Tan­door Murg.
Das Bier­chen müs­sen wir uns am nächs­ten Tag ver­klem­men, denn es ist Dry Day und somit wird nir­gend­wo Alko­hol aus­ge­schenkt. Zuerst besu­chen wir den Gemü­se- und Vieh­markt, dann fah­ren wir mit dem Bus noch­mals nach Ello­ra und dort zuerst ein­mal in Cave 16, den gross­ar­ti­gen Kailash Tem­pel, der gröss­te Fel­sen­tem­pel die­ser Art in Indi­en. Zum Foto­gra­fie­ren besu­chen wir noch ein­mal die schöns­ten Höh­len, vor allem die letz­te mit den drei Ein­gän­gen ist gewal­tig und beson­ders schön im spä­ten Nach­mit­tags­licht. Das Timing für den Bus nach Auran­g­a­bad ist aus­ge­zeich­net, die Son­ne geht unter, in der Dun­kel­heit sehen wir auf einem Fried­hof (?) Hun­der­te Ker­zen brennen.

Am Abend holt uns Ashok wie abge­macht ab und fährt uns mit sei­ner Rik­s­ha zu sei­nem Ein­zim­mer-Häus­chen. Wir trin­ken Tee und spre­chen mit der auf­ge­weck­ten Toch­ter, sie zeigt uns ihre Schul­hef­te. Der ein­zi­ge Wohn­raum dient als Arbeits‑, Ess- und Wohn­zim­mer. Ashoks Frau bleibt nach der Begrüs­sung scheu in der «Küche» hin­ter dem Vor­hang, der die Koch­stel­le vom Haupt­raum abtrennt. Sie spricht nicht Eng­lisch («she ist not edu­ca­ted»). Ashok will kein Geld anneh­men für die Rik­s­ha Fahrt und die Bewir­tung, schliess­lich kön­nen wir aber sei­ner Toch­ter etwas zuste­cken. Spä­ter im Hotel schaut Thö­mu noch den Cri­cket-Halb­fi­nal West Indies gegen Süd­afri­ka. Mir blei­ben die Regeln die­ses Spiels wei­ter­hin ein Rätsel.

Ver­pass­ter Flug und gewon­ne­ne Zeit
Mit dem kom­for­ta­blen Zug gehts schliess­lich wie­der nach Mum­bai (Bom­bay), wir bezie­hen ein klei­nes Zim­mer wie­der im ange­neh­men Hotel Oasis an der Shahid Bha­gat Singh Road (was für eine Adres­se!). Ich füh­le mich nicht wohl, habe Fie­ber und Durch­fall und blei­be mal im Zim­mer, Thö­mu zieht allei­ne los. Spä­ter ent­de­cken wir das rei­zen­de Cafe Uni­ver­sal, 1921 gegrün­det offen­bar von Ira­nern (Par­sen?). Boman Ira­ni war auch schon hier, wie eine Foto an der Wand zeigt. Die ruhi­ge Atmo­sphä­re und die Ein­rich­tung gefal­len uns sehr. Spä­ter auf der Stras­se läuft uns jemand nach («Hel­lo! Excu­se me!»), ich dre­he mich wider­wil­lig um, und da steht der Kell­ner mit mei­ner Tasche samt Geld und Pass, die ich lie­gen gelas­sen habe! Am nächs­ten Tag brin­gen wir ihm dann einen Fin­der­lohn ins Cafe, den er zwar zuerst gar nicht anneh­men will.
Die­ser Sams­tag ist unser letz­ter Tag, wie üblich nut­zen wir die ver­blei­ben­de Zeit mit Ein­kau­fen im Government Empo­ri­um, wobei die­ses hier bei wei­tem nicht so viel Aus­wahl bie­tet wie das in Delhi. Die letz­ten Stun­den in Bom­bay, die wir ruhig ange­hen kön­nen, denn unser Flug geht spät in der Nacht bzw. früh am nächs­ten Mor­gen.
Mit der Ruhe ist es dann schlag­ar­tig vor­bei, als wir noch­mals die genaue Abflugs­zeit kon­trol­lie­ren und mer­ken, dass das Flug­zeug bereits heu­te mor­gen früh ohne uns gestar­tet ist! Mer­ke: Wenn das Flugi am Sams­tag, 5. Novem­ber um 00.23 fliegt, bedeu­tet das ganz früh am Mor­gen und nicht nach Mit­ter­nacht! Wir hät­ten also bereits am Frei­tag in der Nacht zum Flug­ha­fen fah­ren sol­len. Ungläu­big star­ren wir auf die Tickets, aber es ist nicht zu ändern: das Flug­zeug ist weg und wir sind noch da. Nach dem ers­ten Schock heisst es han­deln, aber die Büros der Aus­tri­an Air­lines sind erst am Mon­tag wie­der besetzt, und so kön­nen wir erst mal gar nichts unter­neh­men. Auf die­sen Schreck gibt’s ein Bier im Uni­ver­sal, wir ver­län­gern unse­ren Auf­ent­halt im Oasis und kön­nen uns schon bald wie­der freu­en über die gewon­ne­ne Zeit in Bom­bay. Eine Mit­tei­lung ans Büro, dass die Mon­tags­sit­zung ohne mich statt­fin­den wird, und dann erge­ben wir uns dem Schick­sal. Der Upper­wal­lah wird es schon richten!

Am Sonn­tag besu­chen wir mit vie­len mus­li­mi­schen Pil­gern die Had­ji Ali Dar­gah, eine Moschee und ein Grab­mal auf einer Fel­sen­in­sel im Meer. Sie ist nur über einen Damm erreich­bar, und bei Flut gibt’s nas­se Füs­se. Aus­ser­dem sehen wir vor dem Lak­sh­mi Tem­pel lan­ge Schlan­gen fest­lich geklei­de­ter Men­schen, die der Göt­tin ihre Gaben brin­gen. Das Schöns­te: dies alles ist gewon­ne­ne Zeit, irgend­wie genies­sen wir sie noch mehr.
Am Mon­tag schliess­lich kön­nen wir unsern Flug umbu­chen auf Mon­tag­nacht bzw. Diens­tag früh. Also haben jetzt noch Zeit für einen Aus­flug mit dem Schiff auf die Insel Ele­phan­ta. Am Mon­tag sind die Fel­sen­höh­len zwar geschlos­sen, aber die Fahrt lohnt sich trotz­dem. Ich kau­fe eine Hals­ket­te, wahr­schein­lich sind es nicht ech­te Koral­len, aber sie ist trotz­dem schön und kos­tet fast nichts. Der net­te Händ­ler rät mir, die Ket­te gut in der Tasche zu ver­stau­en wegen der Affen. Ich kann mir nicht recht vor­stel­len, war­um, aber ein paar Schrit­te wei­ter taucht so ein fre­cher Affe aus dem Nichts auf und greift nach mei­ner Lim­ca Fla­sche. Wir zer­ren bei­de eine Wei­le dar­an, er ist aber stär­ker und macht sich samt Beu­te davon auf den nächs­ten Baum. Dort schraubt er see­len­ru­hig den Deckel ab und geniesst offen­sicht­lich das kleb­ri­ge Getränk.

Spä­ter im Hotel packen wir jetzt defi­ni­tiv unse­re Sachen, ein letz­tes Mal ins Uni­ver­sal und dann bringt uns das Taxi zum Flughafen.

Phir milen­ge, India!